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Ghost Producing - Ein schmutziges Geschäft?

Lassen sich DJs ihre Hits heimlich von erfahrenen Produzenten schreiben? Die Zeichen verdichten sich. Ghost Producing ist von einem schmutzigen kleinen Geheimnis zum bestimmenden Thema der Szene geworden. Ihre Unschuld hat die Elektronik längst verloren – verliert sie nun auch noch ihre Integrität?

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Erfolg kommt eher selten über Nacht und ganz bestimmt nicht von ungefähr. Angesichts des kometenhaften Aufstiegs einiger aktueller DJ-Karrieren führt einen das schon einmal in Erklärungsnot. Nachdem die beiden in Belgien geborenen Brüder Dimitri Vegas und Like Mike bis 2011 noch weitestgehend unbekannt waren, arbeiten die beiden DJs in den Jahren 2012/2013 mit einigen der erfahrensten Produzenten der Trance- und EDM-Szene, darunter Moguai („Mammoth“), Maarten Vorwerk („Wakanda“) und Sander van Doorn („Project T“).

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Die Songs schlugen ein wie Bomben und katapultierten die in Belgien geborenen Griechen aus der Newcomer-Nische in den Charts-Olymp. Nachdem sie noch 2012 nur knapp die Top-40 erreichten, führen sie in diesem Jahr das Ranking des DJ-Mags an und werden als Headliner auf nahezu allen großen Festivals gebucht. Angesichts der Geschwindigkeit des Aufstiegs kann es kaum verwundern, wenn nun einige die Vermutung äußern, die genannten Veröffentlichungen seien größtenteils oder sogar ausschließlich fremd-produziert und der Erfolg somit erkauft. Der Vorwurf, musikalisch unversierte DJs nutzten skrupellos die Talente von Ghostwritern, um ihre Chancen auf bessere Bookings zu erhöhen, ist natürlich kein neues Phänomen. Doch niemals war es so präsent wie in den vergangenen Monaten. Als das DJ-Mag sich genötigt sah, alle Künstler der Top-100 zu ihrer Meinung zum Thema zu befragen, kasteiten die meisten von ihnen Ghost Producing als eine Lüge am Verbraucher. Doch muss man angesichts einer zunehmend drückenden Faktenlage fragen: Werfen da einige im Glashaus nicht mit Steinen?

Ghost Producing - Keine Randnotiz

Fest steht: Das Vorgehen ist längst keine Randnotiz mehr und erstreckt sich auf die gesamte Industrie. Die Grenzen zwischen „Ghost Producing“ und Kollaboration sind dabei zweifelsfrei fließend. David Guetta beispielsweise hat nie bestritten, sich kreativ unter die Arme greifen zu lassen und seine Studiopartner stets namentlich genannt und entlohnt. Ein Track, so Guetta, sei für ihn ein Team-Produkt und das Produzieren wie das Spielen in einer Band. Tatsache ist aber auch, dass dieser partnerschaftliche Ansatz eher selten der gängigen Praxis entspricht. Vielmehr werden in Fachzeitschriften bereits ganzseitige Anzeigen für Ghost-Kompositionen geschaltet und lassen sich auf Plattformen wie producerfactory.com fertige Tracks so bequem in den virtuellen Einkaufswagen legen wie andernorts Schuhe oder Windeln. Für einige talentierte Musiker ist das Produzieren für andere sogar zum Beruf geworden. Der Bekannteste von ihnen ist zweifelsfrei Maarten Vorwerk. Vorwerk war bis 2007 noch selbst Aushängeschild des kommerziell erfolgreichen Jumpstyle-Duos Jeckyl & Hyde. Schon bald aber verlegte er sein Studio auf die idyllische Karibikinsel Aruba und konzentrierte sich vornehmlich auf reine Produktionsarbeit. Seine unverkennbare Handschrift sollte schon bald ganze Genres prägen. Ob nun tatsächlich Hits wie „Stampede“ und „Tsunami“ von DVBBS aus seiner Feder stammen oder ob die im Netz aufgetauchten Ghost-Producing-Verträge, in einer ironischen Wendung, ebenfalls Fälschungen sind, ist unerheblich. Denn Vorwerks maßgebliche Beteiligung bei einer Vielzahl von Hits ist unbestritten – und wer diese Produktionen nebeneinanderstellt, gelangt schon schnell zu der Vermutung, dass sein persönlicher Anteil am Erfolg bei weitaus mehr als 50 Prozent liegen dürfte.

Was die Sache allerdings komplizierter macht, ist die geheime Natur vieler dieser Prozesse. Vorwerks Ansatz ist dabei noch vergleichsweise transparent. So wird sein Name üblicherweise in den Credits der Produktionen aufgeführt, die man beispielsweise auf dem Online-Suchportal der amerikanischen Autorenvereinigung ASCAP einsehen kann. Damit sind die Produktionen kollaborativer Natur – ein Ansatz, der viele Jahre lang zum Alltag der Industrie gehörte, von Dennis Waakop Reijers’ Arbeit für Tiësto über die langjährige Kooperation zwischen David Guetta und Joachim Garraud sowie Martin Buttrichs Produktionen für Loco Dice.

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Aus einigen Interviews und Insider-Artikeln wird nun allerdings immer mehr ersichtlich, dass Kollaborationen eher die Spitze des Eisbergs ausmachen. So ist laut eines [verständlicherweise namentlich nicht genannten] Ghost Producers die Frage der Autorennennung kein moralisches Prinzip, sondern hängt von den Erfolgschancen eines Tracks ab. Wenn er beispielsweise von DJs angesprochen werde, die lediglich Hilfe beim Aufbau einer Diskografie benötigen, gehe es nicht darum, einen Chart-Hit zu komponieren, sondern ausschließlich um eine Art „Bewerbungsmappe“ für Bookings. Deswegen würden bei diesen Deals gegen einen Fixbetrag alle Rechte an einem Titel übertragen. Wenn der Track jedoch ernsthafte Aussicht auf hohe Verkaufszahlen habe, müsse entweder der Fixpreis für die Musik steigen oder eine Beteiligung an den Tantiemen eingeräumt werden. Alleine schon auf producerfactory.com bewegen sich die Kosten für einen Track bei zwischen 200 und 1000 Euro. Wenn etwas Individuelleres gewünscht wird, kann sich die Rechnungssumme, so das Branchenblatt Billboard, schon einmal auf knapp $20,000 belaufen. Das mag zwar wie eine Menge Geld aussehen. Doch angesichts der inflationären Gagen, die begehrte DJs heutzutage für ihre Auftritte einfordern können, ist es eine Rechnung, die oft genug aufgeht. In einigen der interessantesten Fällen hingegen fließt direkt gar kein Geld. Die Formation Dirtcaps produziert laut Eigenaussagen gerne fette Produktion für bekannte Acts und erhält dafür im Gegenzug einen Podiumsplatz auf einem großen Festival. Man helfe sich halt gerne unter Freunden, so das Trio, und unterstütze sich gegenseitig.

Gibt es ein Problem mit dem Ghost Producing?

Es gehört inzwischen zum guten Ton, Ghost Producing zu kritisieren und in unregelmäßigen Abständen findet man in den sozialen Netzwerken Aktionen wie des DJs und Produzenten Matt Zo, der seine Verachtung für das Fremdproduzieren in einer endlosen Tweet-Kette auskotzte. Dennoch muss die Frage erlaubt sein, in wiefern sich die Dance-Szene dabei von der Pop-Branche unterscheidet, in der Plattenfirmen seit jeher Sternchen casten und mit vorgeschriebenen Songs füttern. Und überhaupt: Die Rolle des Produzenten geht spätestens seit George Martin und den Beatles ohnehin deutlich über das originalgetreue Einfangen einer Performance hinaus – wer das akustische Original einer Hymne wie „Born in the USA“, gehört hat, wird eine neue Perspektive auf die relative Bedeutung der kreativen Idee und ihrer technischen Umsetzung gewinnen. Die Elektronik allerdings war von diesen Fragen lange Zeit weitestgehend abgenabelt, weil der komplexe Gerätepark ein tiefes Verständnis der dahinter stehenden Technologie verlangte und Musiker stets Kreative und Techniker zugleich sein mussten, Komponist, Interpret und Produzent auf einmal. Das jedoch sollte sich mit der Einführung kostengünstiger Homerecording-Geräte und dem Durchbruch von Techno und House in den Massenmarkt grundlegend ändern.

Der Brückenschlag zu Rock und Pop, das Übernehmen von Posen und Images, war hierbei zunächst einmal gar nicht so sehr strategisches Kalkül, sondern vielmehr eine spannende Möglichkeit, eine noch immer im Underground verwurzelte Musik in den Mainstream hinein zu tragen. Dass beispielsweise die Sven-Väth-Alben „Accident in Paradise“ oder „The Harlequin, the Robot and the Ballet Dancer“ trotz einer kompromisslosen kreativen Vision bis zu 100.000 Exemplare verkauften, ist nur deswegen denkbar, weil sie mit Väth einen unübertroffen charismatischen und vor allem glaubwürdigen Frontmann hatten.

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Dass die Musik darauf aus der Feder Ralf Hildenbeutels stammt, hat niemals jemand bestritten, doch hat dieser stets betont, wie entscheidend Väths Impulse für das richtige Timing der packenden Arrangements waren. Ähnliche Partnerschaften standen in dieser Zeit auf der Tagesordnung und sollten das Bild so lange bestimmen, bis die Albumverkäufe Anfang des neuen Jahrtausends einbrachen. Ohne Live-Auftritte war eine Existenz als Musiker plötzlich nicht mehr möglich, was erklärt, warum sich so viele hervorragende Studioexperten in den Clubs bis über beide Ohren blamierten. Erst mit dem wahnwitzigen Ansteigen der Festivalgagen in den letzten Jahren haben sich neue Geschäftsmodelle ergeben, bei denen Musiker sich wieder auf die Arbeit im Hintergrund konzentrieren, und den DJs die mediale Darstellung überlassen können. In einem Act wie Dash Berlin, bei dem Jeffrey Sutorius als DJ und Live-Act mit den Tracks tourt, die mit Eelke Kalberg und Sebastiaan Molijn im Studio entstehen, ist diese Aufteilung sogar zum festen Modell geworden.

Muss man DJs dafür bestrafen, dass sie von einem System, in dem ein Hit zur Voraussetzung für ein Booking gemacht wird, dazu gezwungen werden, sich auf Ghost Producer zu verlassen? Geht es beim Star-Kult letztendlich sowieso immer um Image und Sehnsüchte und nie um die Musik? Muss man nicht eher wie Maceo Plex, der selbst einmal als Ghost-Produzent unterwegs war, zu der Erkenntnis kommen, dass wir in einer „undurchsichtigen Zeit“ leben, in der man Verständnis für augenscheinlich unethische Vorgehensweisen haben sollte? Vielleicht. Tatsache ist aber auch, dass Ghost Producing keineswegs für Chancengleichheit sorgt, sondern vielmehr die bestehenden Machtgefüge verfestigt und die reine Kapitalausstattung eines Künstlers zur bestimmenden Größe in der Etablierung von Karrieren macht. Wenn Ghost Producing tatsächlich, wie bei den Dirtcaps, dazu genutzt wird, Gefälligkeiten auszutauschen, dann stärkt das diejenigen mit Privilegien und benachteiligt alle, die außer Talent, Ideen und harter Arbeit nichts anzubieten haben.

Viel grundlegender muss man sich fürchten vor einer Welt, in der ein Künstler für wertvoller gehalten wird, wenn er alle Qualitäten und Talente in einer Person vereint, statt sich als Teil einer Gruppe zu sehen. Denn der Glaube an diese Gemeinschaft ist das letzte Fitzelchen eines zunehmend ausfasernden Fadens, der uns noch an Musik als echte Kommunikation zwischen Menschen glauben lässt – und nicht als funktionales, nur all zu leicht manipulierbares Mittel zum Aufblasen von Egos und Bilanzen. Auch die Elektronik, als Gegenmodell zur durchkommerzialisierten Pop-Branche gestartet, hat ihr Recht auf Ruhm, Reichtum und Verlogenheit. Doch die Geister, die sie rief, könnten sie noch lange verfolgen.

Dieser Artikel ist in unserer Heft-Ausgabe 123 erschienen.

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