News

Clubsterben - Ist die Clubkultur dem Untergang geweiht?

Die vorübergehende Schließung der legendären Londoner Fabric hat Signalwirkung. Überall auf der Welt intensiviert sich der Kampf zwischen dem Nachtleben und den Interessen von Behörden, Anwohnern und Investoren. Ist die Clubkultur dem Untergang geweiht?

Anzeige

Die Londoner Fabric ist weitaus mehr als nur ein Club oder gar, wie man oft so schön sagt, eine „Institution“. Sie ist ein Ort, an dem eine ganz spezielle Form der Weihe stattfindet: „Ohne Fabric werden sehr viele 18-Jährige nicht mehr diesen Augenblick auf dem Dancefloor genießen können, in dem sie erkennen: Ich möchte selbst ein Stück Musik produzieren. Ich möchte ein DJ sein. Ich möchte eine Plattenfirma gründen“, so der BBC-Radio-Moderator Benji B, selbst einer von denen, die dort ihren Lebensinhalt fanden. „Wenn du die Fabric schließt, erzeugst du einen Abfluss von Kreativität. Du verhinderst, dass eine neue Generation nachwächst.“ Mit der erzwungenen Schließung des Clubs nach zwei tragischen Todesfällen setzten die Behörden deswegen nicht nur ein Zeichen gegen die dort angeblich vorherrschende „ungehemmte Drogenkultur“.

Vielmehr demonstriert das abrupte Ende der Fabric, wie brüchig inzwischen der Konsens geworden ist, an dem die gesamte Clubkultur hängt, ihre Abhängigkeit von dem guten Willen und der Duldung genau der Gesellschaft, gegen die sie einstmals, als offensive Jugendbewegung, angetreten war. „Erst wenn die letzte Eigentumswohnung gebaut, die letzte Dachetage ausgebaut, der letzte Klub abgerissen, der letzte freie Lebensraum zerstört ist, werdet ihr feststellen, dass der Prenzlauer Berg die Kleinstadt geworden ist, aus der ihr einst geflohen seid“, hieß es einst auf einem Plakat anlässlich der Schließung des Klubs der Republik. Der Moment scheint gekommen – und das nicht nur in Prenzlauer Berg, sondern weltweit.

Starke Polarisierung

Wenn sich die Debatte um die Stellung der Clublandschaft nun vor allem an der Fabric-Tragödie aufhängt, dann sicherlich auch deswegen, weil die englische Szene schon immer von einer starken Polarisierung und einer „Wir gegen die anderen“-Mentalität geprägt war; oder, wie es das Zitat eines Underground-Ravers auf den Punkt bringt: „Ich liebe es, Anarchie herauf zu beschwören und der Polizei den Mittelfinger zu zeigen.“ Seit Anfang der 90er befindet sich die Szene in einem ständigen Ringen mit den Autoritäten. Zunächst schlugen Letztere mit dem Criminal Justice Act hart zu. Die Gesetzessammlung schränkte eine Vielzahl Freiheitsrechte ein und belegte Zusammenkünfte mit „Musik aus repetitiven Beats“ mit drakonischen Auflagen. Kurz nach der Verabschiedung des Criminal Justic Acts veröffentlichte das Duo Autechre die „Anti EP“ mit dem Track „Flutter“, auf dem sich auf wunderbar subversive Weise kein einziger Takt wiederholte. Die geniale Idee machte jedoch keine Schule und aufhalten konnte sie die Spaltung der Bewegung auch nicht. Und so entstanden Anfang des neuen Jahrtausends zwei Lager: diejenigen, die nur in der Illegalität oder zumindest an ihren Grenzen die wahre Bestimmung von Raves verorteten und denjenigen, die sich durch eine hochgradige Professionalisierung gesellschaftlichen Respekt erarbeiten wollten. Die Fabric, 1999 gegründet, sah sich eindeutig im gesetzestreuen Lager. Mit einem weltweit gerühmten Sound-System, einem intelligent gemanagten Label, einer hochkarätigen Booking-Politik und einer idealen Lage mitten im kreativen Herzen der englischen Hauptstadt wurde sie zum Inbegriff eines modernen Clubs. Dass nun gerade sie von den Behörden als Beispiel für gescheitertes Management und wild wuchernden Drogenkonsum angeführt wird, hat in der gesamten Landschaft die Angst vor einem Kahlschlag anwachsen lassen.

Die außergerichtliche Einigung, mit der knapp drei Monate später das Überleben der Fabric doch noch durchgesetzt wurde, hat diese Angst nur teilweise abflauen lassen. Denn einerseits konnte der Club für eine international Wellen schlagende Protestkampagne satte 350,000 Pfund einsammeln, um sich gerichtlich zu wappnen. Damit standen ihm Mittel zur Verfügung, die kleineren Locations verwehrt bleiben. Darüber hinaus zeugt die Härte der Auflagen, denen man zuzustimmen gezwungen war, davon, wie sich die Behörden den Club der Zukunft vorstellen: An den Türen sollen alle Personalausweise gescannt, innen Gäste nach Drogen durchsucht und mit Überwachungskameras und Spürhunden kontrolliert werden. Eine „bessere Beleuchtung“ soll diese Maßnahmen erleichtern und sogar ein einmaliger Verstoß gegen die Regeln mit einem lebenslänglichen Hausverbot bestraft werden. [Quelle] Da die Fabric bereits für ihre vorbildliche Kooperation mit der Polizei bekannt war und viele dieser Maßnahmen bereits in abgeschwächter Form gehandhabt wurden, bleibt unklar, inwiefern das heute noch gefeierte Dokument ein langfristiges Überleben garantieren kann. Immerhin steht man in diesem Kampf nicht alleine da. Auch in Buenos Aires wurde gerade noch eine längst genehmigte Kraftwerk-Tour im letzten Augenblick untersagt, weil es bei einem Techno-Event ohne jeglichen Bezug zu der Elektronik-Legende zu Zwischenfällen gekommen war und in Städten wie Berlin oder Amsterdam gehört das Ringen von Clubs mit Anwohnern und Vermietern längst zum Alltag. Elektronische Musik bleibt offenbar ein rotes Tuch, und dass das Thema inzwischen weitestgehend aus den Zeitungen verschwunden ist, liegt eher daran, dass es beispielsweise in Berlin kaum noch nennenswerte Ausgeh-Gelegenheiten in Zentrums-Nähe gibt – und deswegen auch weniger Konfliktpotenzial.

Konservative Politik

Die Kette von Ereignissen scheint somit die Schlussfolgerung nahe zu legen, dass das Club-Sterben auf den Konflikt zwischen der Dance-Kultur einerseits sowie einer zunehmend konservativen Städtepolitik und Anwohnern andererseits zurückzuführen ist, die ihre Ansprüche auf Schlaf und Ruhe zunehmend konsequenter durchsetzen. Die oftmals aufgestellte Behauptung, viele Clubs seien aufgrund der Lärmklagen neulich Zugezogener geschlossen worden, entbehrt tatsächlich nicht gänzlich einer Grundlage. So fühlten sich beispielsweise die Bewohner einer frisch aus dem Boden gestampften Neubausiedlung an der Spree von den Geräuschen der Insel der Jugend, einer idyllische Location mit einem bunten musikalischen Programm, so stark gestört, dass sie den Betrieb mit ihren Anzeigen nahezu stilllegten. [Quelle] Auch sind einige derjenigen Stadtteile Berlins, die früher zum Kerngebiet der Techno-Bewegung gehörten, inzwischen zur Club-freien Zone verkommen und sorgen sich Inhaber mit dem Angstschweiß auf der Stirn darum, dass ja kein Gast später als 22 Uhr mit leicht erhobener Stimme vor ihrem Etablissement gesichtet wird.

Gleichwohl hat die Theorie einen Haken: Wie die Club-Inhaber selbst anmerken, ist nicht ein Club-Sterben Grund ihr eigentlichen Sorgen, sondern vielmehr ein Überangebot. „Die Frage ist, wo die Leute für all diese Läden herkommen sollen“, so Johnnie Stieler, ehemaliger Chef des eingestellten Horst Kreuzberg. Für ihn steht eher fest, dass das Cluberlebnis schlicht nicht mehr die magnetische Anziehungskraft aufweist, die es einmal hatte und dass sich die Interessen des potenziellen Publikums verschoben haben – hin zum gemütlichen Treffen mit Freunden in den eigenen vier Wänden, hin zum gediegenen Dinner oder Glas Rotwein. [Quelle] Und inzwischen hat man mit Initiativen wie der Kiez Connection dafür gesorgt, dass den geplagten Besitzern bei der Durchsetzung ihrer Rechte geholfen wird. Die härtere Gangart hat letzten Endes zu mehr Verständnis geführt, auch seitens der Betreiber: Dass eine bessere Lärmisolation in vielen Fällen tatsächlich für ein gutes gegenseitiges miteinander Auskommen unabdingbar und vielleicht auch einfach angebracht und fair ist, ist eine Einsicht, die sich darüber hinaus immer mehr durchsetzt.

Inhaltliche Aushöhlung

In Wahrheit, so sehen es jedenfalls einige Insider, ist es nicht die Stärke der Behörden und Verwaltung, die den Kampf gegen die Nachtkultur anfeuert, sondern ganz im Gegenteil ihre finanzielle und inhaltliche Aushöhlung durch gekürzte Budgets und den Lobbyismus von Immobilien-Anlegern. Der jahrelange gute Kontakt der Fabric-Betreiber mit der örtlichen Polizei verkehrte sich beispielsweise erst dann in einen Konflikt, als deren Mittel drastisch gekürzt und die Erwartungen im Kampf gegen Kriminalität erhöht wurden. Der Druck zwang die Gesetzeshüter, nach einfachen Zielen für ihre Kampagne zu suchen – die Fabric, die alleine schon aufgrund ihrer offenen Türpolitik immer schon ein weitaus inhomogeneres Publikum anzog als ihre deutschen Gegenparts, erfüllte schlicht die Anforderungen. Dass Immobilien eine der letzten rentablen Anlageformen darstellen, hat die Situation noch weiter zugespitzt. Am King's Cross befand sich jahrelang die zentrale Drehscheibe des Londoner Nachtlebens, bis der Besitzer der Gebäude, die englische Bahn, sich für eine Umwandlung in Apartment-Komplexe entschied. [Quelle]

Anzeige

Das gleiche Schicksal erlitten auch die legendäre Hacienda und die Erstauflage des Tresor, die Bürogebäuden und Luxuswohnungen weichen mussten. Man hat hinter diesen Entwicklungen lange eine zynische Logik der Gentrifizierung vermutet: Dass nämlich die kreativen Zellen, die einen einstmals unattraktiven Ortsteil mit ihrem Angebot aufwerten jenes reaktionäre Publikum anziehen, das zu ihrem eigenen Untergang führt. In einer Augen öffnenden Reportage für die Seite „Resident Advisor“ hat Max Pearl nun aufgedeckt, dass sogar dieser Prozess längst bewusst gelenkt wird. [Quelle] So ist es in New York gang und gäbe, dass Immobilienunternehmen ganze Straßenzüge an hippe Etablissements und Künstler vermieten, um den Wert ihrer umliegenden Besitze zu erhöhen. Die gelenkte Aufwertung geht weitaus rascher vonstatten als die natürliche und hat aus kommerzieller Sicht einen weiteren Vorteil: Die Renditen sind oftmals noch weitaus höher und man kann sich anschließend leichter eventueller störender Elemente entledigen.

Ganz ohne Kampf freilich wollen die Clubbetreiber nicht aufgeben. Und so haben sie sich in Städten wie Berlin oder Hamburg zu Vereinen zusammengeschlossen, die ihre Interessen bei der Stadt vertreten und die Bedeutung ihres kulturellen Beitrags vermitteln sollen. In Amsterdam macht das Beispiel des „Club Bürgermeisters“ Schule, der mit innovativen Konzepten zwischen Bürgern, Behörden, finanziellen Interessen und der Kreativwirtschaft vermitteln soll. Die Erfolge des Amsterdamer Modells sind nicht von der Hand zu weisen, doch implizieren sie, ähnlich wie die Fabric-Lösung, eine radikale Umdeutung des Club-Erlebnisses. Waren Techno-Raves früher Orte, an denen man der Welt und ihren Zwängen entfliehen konnte, so sind die Limitierungen und Einschränkungen heute strenger als auf einem internationalen Flughafen oder dem Hochsicherheitstrakt eines Gefängnisses. Es mag einige der frühen Pioniere mit Stolz erfüllen, dass das einstmalige Schmuddelkind Elektronik auf diese Weise mitten in der Gesellschaft ankommt. Ob und wie es dort überleben kann, bleibt dabei aber leidlich unbeantwortet.

Mehr zum Thema
Anzeige