Sogar unter den Legenden des Techno gehört Kevin Saunderson zur Spitze. Saunderson verhalf der aufkeimenden Club-Musik zu ihren ersten Chart-Hits und verbreitete sie mit seinen schweißtreibenden DJ-Sets. Tobias Fischer sprach mit Saunderson über seine ersten Drumcomputer-Experimente, seine Mixer-Philosophie und die Bedeutung des Wetters fürs DJing.
Beat / Du spielst immer wieder auch auf kleineren, intimeren Events, aktuell dem Armada Invite. Was macht solche Gigs für dich interessant?
Kevin Saunderson / Stimmt. Vor Kurzem habe ich auch ein Set für das Lab London gespielt, das war wie in einem Wohnzimmer. Es macht Spaß, weil du einen sehr direkten Kontakt mit dem Publikum hast. Auch Armada Invite ist sehr cool. Es fühlt sich an wie ein kleiner Club und du spielst mit aufstrebenden, jungen DJs. Die Energie ist toll und es ist ein progressives Format – die Leute haben ganz neue Möglichkeiten, mit dir zu interagieren. Es ist in der Hinsicht ähnlich wie der Boiler Room, nur, dass der Fokus hier auf den Armada-Künstlern liegt.
https://youtu.be/gvvb-SNL9tM
Beat / Auf jeden Fall dürfte sich das Format sehr von deinen Gigs in den frühen Tagen des Techno unterscheiden, die du ja mitgeprägt hast. Ich habe gelesen, dass du schon damals oft mit einem Drum Computer auf die Bühne gegangen bist.
Kevin Saunderson / Ja, ich habe damals hauptsächlich mit der 909 gearbeitet. Ich habe sie in das Set integriert und verschiedene Patterns abgerufen. Es ging mir dabei darum, die Dinge ein wenig aufzumischen und den Leuten etwas zu bieten, was sie so nicht gewöhnt waren. Es hat sich kreativ angefühlt, weil es diese Art von Rhythmen noch nicht auf Platte gab.
Beat / House und Techno entstanden erst als Stilrichtungen ...
Kevin Saunderson / Du hattest dauernd das Gefühl, dass etwas in der Musik fehlt. Entweder musstest du dir die gleiche Platte zwei Mal kaufen, weil du verschiedene Teile gleichzeitig nutzen wolltest. Oder du hast die gleiche LP mehrfach im selben Set aufgelegt. Die 909 hat eine wichtige Rolle dabei gespielt, diese Lücke zu schließen. Die Experimente, die dabei entstanden, haben mich dann letzten Endes sogar vom DJing zum Produzieren geführt. Wenn du die ganze Zeit nur mit dem Sound der 909 arbeitest, willst du irgendwann Basslinien und mehr Musik hinzufügen. Das war eine wichtige Phase.
Beat / Was für Equipment kam sonst noch zum Einsatz?
Kevin Saunderson / Mein Set-up war sehr einfach. Ich hatte gerade einmal einen Numark-Mixer und zwei Plattenspieler mit Direktantrieb. Später erst habe ich diese dann mit 1200ern ersetzt. Und ich hatte immer meine eigenen Monitorboxen dabei. An die Marke erinnere ich mich nicht mehr, aber ich erinnere mich gut daran, dass ich sie zu jedem Auftritt mitschleppen musste. Damals konntest du dich nicht darauf verlassen, dass alles für dich vorbereitet war.
Beat / Im Gegensatz zu alten Weggefährten hast du dich seitdem aber immer wieder neu orientiert. Wieso eigentlich?
Kevin Saunderson / (lacht) Ich bin einfach vernarrt in Technologie! Ich liebe es, neue Sachen auszuprobieren, ich liebe es, Dinge zu verändern. Aber es gab noch einen anderen, ursprünglicheren Grund zu Final Scratch zu wechseln: Vom ganzen Plattenschleppen hatte ich mir schwere Nacken- und Rückenprobleme eingehandelt. Erst später habe ich die Vorzüge der neuen Technologie zu schätzen gelernt.
Beat / Hat sich dabei dein DJ-Stil geändert?
Kevin Saunderson / Ich glaube nicht, nein. Ich sehe die Verwendung digitaler Techniken genau so wie das Auflegen mit Vinyl – plus Bonussen. Auf Vinyl hattest du manchmal einen tollen Disco-Track, aber du konntest ihn nicht im Club in dein Set mixen, weil er mit zu vielen Elementen überladen war. Also haben die meisten DJs auf den Break gewartet. Heute machst du dir einfach deinen Break selbst. Wenn du ihn dann länger oder kürzer machst, erschaffst du dabei gleichzeitig deine eigene Perspektive. Soundmäßig ziehe ich Vinyl auf einer perfekt ausbalancierten Anlage immer noch vor. Aber auf kreativer Ebene kannst du mit CDJs mehr machen.
Beat / Interessiert dich die Möglichkeit des „Live-Komponierens“, die mit digitalen Files möglich ist?
Kevin Saunderson / Manchmal mache ich das tatsächlich. Aber nicht sehr oft. Im Grunde genommen ist die Musik gut, so wie sie ist und ich möchte auch nicht jeden Track remixen. Aber es gibt durchaus Produktionen, bei denen mir nur bestimmte Parts gefallen – und die isoliere ich dann. Der wichtigste Vorzug aus meiner Sicht ist, dass du heute kein Problem hast, ein neues Stück live auszuprobieren. Früher hättest du dafür speziell einen extrem teuren Master anfertigen lassen müssen. Heute kostet es dich gar nichts.
Beat / Mir ist bei deinen Sets aufgefallen, dass du das Mischpult sehr intensiv einsetzt. Warum ist dir das so wichtig?
Kevin Saunderson / Das war schon immer ein Teil meines Ansatzes, ganz von Anfang an. Es geht mir dabei um zusätzliche Dynamik. Was mir bei den New Yorker DJs, die ich in den frühen Jahren gesehen habe, nie so recht gefallen hat, ist, dass die manchmal eine Platte schier ewig im Mix behalten haben – bis zu 20 Minuten, manchmal eine volle Stunde! Mich hat das gelangweilt – bei einer Licht-Show siehst du schließlich auch nicht ständig dasselbe. Ich habe mir dieses Bearbeiten des Mischers von Derrick May abgeschaut und der wiederum hatte es von Ron Hardy. Ich habe darin sofort eine Parallele zum Scratchen gesehen.
Beat / Interessant – wie das?
Kevin Saunderson / Es waren beides Techniken, die dafür sorgten, dass es spannend bleibt. Mein erster DJ-Name war sogar Scratchmaster Reed! Das heißt, ich hatte einen Hip-Hop-Künstlernamen, obwohl ich House und Techno aufgelegt habe. Etwas später bin ich dann zu der Erkenntnis gekommen, dass das Scratchen sich vielleicht doch nicht ganz so gut für diese Musik eignet, es war etwas zu viel des Guten. Mit dem Mischpult konnte ich ähnliche, aber passendere Ergebnisse erzielen.
Beat / Es geht dir also um Spannung.
Kevin Saunderson / Vielleicht eher um ein menschliches Element, das über das reine Auflegen hinausgeht. Du kannst einen Track blitzschnell einfaden, du kannst den EQ nach unten fahren und direkt mit dem Mix arbeiten. Das geht alles auch heute noch, mit digitalen Files. Und das spürt nicht nur das Publikum, sondern es hält dich auch selbst mehr bei der Stange.
Beat / Gibt es denn sogar nach so vielen Jahren immer noch Situationen, in denen es schwer ist, fokussiert zu bleiben?
Kevin Saunderson / Es kommt vor und die Gründe können ganz banal sein. Das Wetter zum Beispiel. Derrick May und ich sollten ein Back-to-Back in Mali spielen. Es war ein Outdoor-Event und am Tag des Auftritts fing es plötzlich an, aus Kübeln zu schütten. Es war ein Sturm, wie wir ihn uns hier überhaupt nicht vorstellen können. Nach neun Stunden hat es dann aufgehört, aber das Gelände war komplett durchnässt und die Leute hatten sich verzogen. Klar bist du dann ein wenig enttäuscht. Als DJ musst du dich immer auf die jeweilige Situation einstellen und du kannst nicht einfach dein Programm runterspulen. Aber wenn dir das Gelände wegschwimmt und da nur noch zwei einsame Leute stehen, anstelle der angekündigten 20.000 gibt es nicht mehr viel, was du noch tun kannst, um den Abend zu retten (lacht).
Dieser Artikel ist in unserer Heft-Ausgabe 142 erschienen.
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