Einprägsame Melodien. Packende Beats. Hymnische Refrains. „DÍA” bietet all das. Und doch ist das zweite Album der kolumbianischen Produzentin Ela Minus ein Punk-Ausbruch, getarnt als halbstündige-knackige Pop-Platte, die massiv komprimierte Distortion und brennende Sounds in einen wilden Energiestrom kanalisiert. Meist „on the road” und ohne jegliche Planung aufgenommen, ist dies ein Werk von Schönheit und offenen Wunden, des in-die-Welt-Blickens und der Introspektion.
Beat / Was für eine Klangpalette schwebte dir zu Anfang der Aufnahmen für diese Veröffentlichung vor?
Ela Minus / Ich hatte keine. Ich hatte wirklich keine Ahnung. Ich wusste nie, was ich machen würde, bis ich es gemacht habe.
Beat / Gilt das auch für die Texte?
Ela Minus / Ja. Die Worte kommen bei mir später, die Musik kommt immer zuerst. Wahrscheinlich ist es wie im Leben. Die Gefühle kommen zuerst, dann versuche ich, die passenden Worte zu finden. Trotzdem habe ich viel an ihnen gearbeitet, sehr viel sogar. Bis ich das Gefühl hatte, dass sie prägnant, kraftvoll und wahr sind.
Beat / Welche Bedeutung hat der Titel „DÍA” (Tag) in diesem Zusammenhang?
Ela Minus / Dieses Album fühlte sich an, als würde man einen Raum betreten, in sich gehen, ein Licht anmachen und dann beobachten. Ich definiere einen Tag als eine endliche Zeitspanne, die durch die Anwesenheit von Licht definiert ist. Und ich denke, das ist es, was diese Platte ausmacht.
Beat / Hast du das Materials live getestet?
Ela Minus / Ich habe im Grunde genommen gar nichts davon vor Publikum gespielt. Ich habe alle Live-Shows abgesagt und musste mich voll auf die Platte konzentrieren. Ich kann nicht beides zur gleichen Zeit machen. Ich habe zwar viel gespielt, bevor ich mit den Aufnahmen begann, wurde dann aber schnell sehr gestresst und ängstlich, weil ich merkte - das habe ich über mich selbst gelernt - dass ich nicht in der Lage sein würde, die Platte zu machen, während ich auftrete.
Für ihr neues Album „DÍA” ist Ela Minus weit gereist – nur um am Ende zu sich selbst zu finden.
Beat / Ein großer Teil des Materials für „DÍA” wurde während deiner Reisen geschrieben.
Ela Minus / Ja, ich habe in verschiedenen Studios und an zufälligen Orten gearbeitet, war nur mit meinem Laptop und ein oder zwei kleinen Synthesizern unterwegs. Ich habe das Equipment benutzt, das mir in den Studios zur Verfügung stand, und vieles auf meinem Laptop bearbeitet und neu arrangiert. Ganz anders als bei meinem Debüt und dem Vorgänger „acts of rebellion”. Der Entstehungsprozess meiner beiden Platten war buchstäblich konträr.
Beat / Wie würdest du den Einfluss des Reisens beschreiben?
Ela Minus / Das Umherziehen, die Ungewissheit, wohin ich als nächstes gehen würde, die ständige Begrenzung der Zeit - eine endliche Anzahl von Studiotagen, eine endliche Anzahl bezahlter Hotelübernachtungen ... alles fühlte sich endlich und gleichzeitig unendlich an, schließlich hätte ich einfach immer weiter zu neuen Orten und neuen Studios gehen können.
Beat / Diese Räume, Orte, Länder und Erfahrungen müssen Spuren in der Musik hinterlassen haben.
Ela Minus / Es gibt einige Songs, bei denen man die Orte deutlich hört, wie bei „ABRIR MONTE”, das ich auf einem Berg in Mexiko aufgenommen habe, mit nichts um mich herum außer Tieren und Natur. Oder bei „ONWARDS”, das ich in der Wüste in Kalifornien zwischen den Coachella-Wochenenden aufgenommen habe Stress, Angst, das Gefühl, sozusagen „gemessen” zu werden. „COMBAT” ist teilweise in Kolumbien entstanden, ich fühle mich stark und meine Widerstandsfähigkeit kommt zum Vorschein. Ich möchte Hymnen für meine Heimat machen, für die Menschen, die meinen Hintergrund teilen. Ich bin Teil von etwas Anderem, wenn ich dort bin.
Beat / Das sind alles sehr persönliche Beobachtungen.
Ela Minus / Letztendlich denke ich, dass das Reisen und die Arbeit an diesem „Ort” zu einem tieferen Verständnis meiner selbst geführt hat, zu einem tieferen Eintauchen in mein Inneres. Wenn alles variabel ist und sich ständig verändert, wird die einzige Konstante ganz offensichtlich man selbst, der eigene Körper, die Seele und der Geist. Muster treten deutlicher zutage, Reaktionen auf Stresssituationen, die Art und Weise, wie ich mich in ständiger, längerer Einsamkeit fühle, die auch deutlicher sichtbar wird, wenn man weit weg an unbekannten Orten ist, wo man niemanden kennt ... Obwohl die physischen Orte selbstverständlich in die Musik eingeflossen sind, ist das eigentlich Entscheidende für die Musik, was diese Orte in mir zum Vorschein gebracht haben.
Ich liebe Distortion in all seinen Formen.
Beat / Was waren einige der Herausforderungen und Vorteile des mobilen Produzierens?
Ela Minus / Ich weiß nicht, ob es gut oder schlecht ist, aber die Außenwelt kommt unweigerlich ins Spiel. Es war von Vorteil, dass die begrenzte Zeit mich dazu gebracht hat, schneller zu arbeiten und nicht so viel nachzudenken oder Zeit mit der Beschäftigung mit Details zu verschwenden. Außerdem habe ich mit viel mehr Synthesizern und Geräten gearbeitet, zu denen ich keinen Zugang gehabt hätte, wenn ich in meinem eigenen Studio arbeiten würde. Aber es gibt auch Herausforderungen: die begrenzte Zeit an den verschiedenen Orten, die Zeit, die ich unterwegs verbringe, der Stress.
Beat / Du hast den Juno 60 und den Moog Minitaur als wichtige Instrumente für dich persönlich herausgestellt. Was macht sie so perfekt für deinen kreativen Prozess?
Ela Minus / Die schlichte Tatsache, dass ich sie besitze, ist das eine ... Davon abgesehen ist der Moog Minitaur einfach ein sehr zuverlässiger Bass, den ich schon lange habe und den ich kenne und dessen Sound ich sehr liebe. Der Juno ist ähnlich - ich liebe den Sound. Ich kenne ihn so gut, dass ich Klänge genau so formen kann, wie ich sie brauche. Eine Zeit lang war er der einzige polyphone Synthesizer, den ich hatte.
Beat / Für mich ist eines der herausragenden Klangelemente von „DÍA” der kreative Einsatz von extremer Verzerrung und Kompression. Wann und wie ist das in die Produktion eingeflossen?
Ela Minus / Es fing langsam an. Ich habe mich dazu hingezogen gefühlt und schließlich gemerkt, dass es ein Element ist, das sich durch die gesamte Platte zieht. Ich liebe Verzerrungen in all ihren Formen, und es ist etwas, das ich sehr gerne erforsche, wenn es um den Sound meiner Musik geht.
Beat / Die Songs auf „DÍA” scheinen viele Phasen und Transformationen durchlaufen zu haben. Wie sah dieser Prozess des Gestaltens und Umgestaltens in der Praxis aus? Würdest du die früheren Songs als „unvollendet” oder eher als „alternative Versionen” bezeichnen?
Ela Minus / Dinge neu zu machen, eine Million Versionen, Bearbeitungen und Variationen zu machen, ist Teil des Prozesses, wenn du eine Platte machst. Das ist einfach so. Man formt etwas aus dem Nichts, und das braucht Zeit, und man muss viele verschiedene Dinge ausprobieren und sie voll ausprobieren, um zu wissen, ob sie funktionieren oder nicht, ob sie ins Gesamtbild passen oder nicht, ob sie den Test der Zeit bestehen - selbst wenn es nur die Zeit ist, während der man an dem Album arbeitet. Ich weiß nicht, ob ich sie als „unvollendet” oder als „alternative Versionen” betrachte - das sind nur Worte. Ich schätze, letzten Endes sind es alles Ideen?
Beat / Was macht dann ein Stück besser und was unterscheidet eine „fertige” Version von einer, die in den Archiven unter Verschluss bleibt?
Ela Minus / Geschmack und Instinkt. Man weiß es einfach. Und manchmal weiß man es auch nicht. Außerdem mcchen wir Fehler - man hört sich etwas an, das man vor Jahren archiviert hat, und stellt fest, dass es bemerkenswert ist und man es damals einfach nicht erkannt hat.Und das ist in Ordnung, denn es existiert immer noch. Deshalb ist es auch so wichtig, Dinge zu archivieren.
Beat / Hast du das Gefühl, dass das Schreiben von Songtexten oder Gedichten etwas anderes ist als das Zubereiten einer guten Tasse Kaffee? Was drückst du in der Musik aus, was du in alltäglichen Aufgaben nicht ausdrücken könntest oder würdest.
Ela Minus / Tolle Frage. Ich denke, das Ergebnis ist unterschiedlich, aber die Absicht kann dieselbe sein, und das finde ich umwerfend schön und inspirierend. Ich hoffe, eine Künstlerin zu sein, von der man sagen kann, dass man mich in allem sieht, was ich mache. Von einer Tasse Kaffee über die Art und Weise, wie ich andere behandle, bis hin zur Musik, zum Kaffee und zu den Dingen, die ich schreibe. Sie alle sind alles Ausdrücke verschiedener Teile meiner selbst - aber man kann mich in allen sehen oder fühlen.
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