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DJ-Interview mit Techno-Künstler Marco Shuttle

Mit seiner aktuellen „Moon Chant EP“ berauscht Marco Shuttle die Techno-Szene wieder mit einer atemberaubenden Klang-Skulptur. Es ist eine Vision, die sich direkt aus seinen DJ-Sets speist. Tobias Fischer sprach mit Marco über seine umgekehrte Reise von CDs zu Vinyl, die Bedeutung von Geschmack und die Zwangsvorstellung, sich mit jedem Set neu zu erfinden.

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Beat / Deine DJ-Sets und Produktionen sind sehr eigenwillig und persönlich. Worum geht es dir?

Marco Shuttle / Um Abstraktion und darum, Routinen zu durchbrechen. Ich fühle mich nicht so sehr zu Kunst hingezogen, die eine ausgeprägte politische Botschaft hat. Ich suche eine Flucht aus der Realität, keine Auseinandersetzung oder eine Kontaktaufnahme mit ihr.

Beat / Routinen zu durchbrechen scheint auch ein Leitmotiv in deinen frühen DJ-Gigs gewesen zu sein. Da konnte dir nicht immer jeder folgen.

Marco Shuttle / Ich finde noch immer, dass du Risiken nehmen musst, wenn du ein guter DJ sein willst. Und es stimmt schon, ich habe in meinen ersten Gigs immer wieder mal den Dancefloor geleert. Entweder, weil die Musik nicht eingängig genug war oder weil sie nicht gepasst hat.

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Beat / Wie hat sich diese Herangehensweise herausgebildet?

Marco Shuttle / Als ich mit dem DJing angefangen habe, schienen House und Techno zumindest in Italien in einer Krise zu stecken. Ich war davon frustriert und hatte das starke Gefühl, ich hätte etwas Interessanteres und Ausgefeilteres zu bieten. Mein Ziel, so könnte man sagen, bestand darin, eine Alternativ-Vision für das Clubbing zu entwerfen. Zunächst war ich von amerikanischem Deep House und Acid beeinflusst. Zu dem Zeitpunkt, als ich selbst mit dem Auflegen angefangen habe, hatte sich mein Geschmack aber in Richtung IDM Electronica und Electro gewandelt. Und das habe ich dann auch gespielt.

Beat / Du findest es also vollkommen legitim, wenn man als DJ vor allem seinen eigenen Geschmack als Leitlinie einsetzt?

Marco Shuttle / Ja, es geht beim DJing noch mehr als beim Produzieren maßgeblich um Geschmack und Ästhetik. Meine Sicht der Dinge ist aber wahrscheinlich davon beeinflusst, dass ich eine Vergangenheit als Modedesigner habe.

Beat / Wie ist es mit dem Auflegen losgegangen?

Marco Shuttle / Es ist eigentlich ganz witzig: Ich habe zunächst mit CDJs angefangen und zwar mit der allerersten Generation, den Pioneer CDJs 1000. Damals habe ich CDs gesammelt und es war sehr schwer, die eher seltsamen Sachen, auf die ich stand, auf Vinyl zu bekommen. Als das Internet dann aber zu wachsen anfing, konnte ich Platten online bekommen und bin auf Vinyl umgestiegen.

Beat / Also der umgekehrte Weg wie für die meisten Kollegen. Wie wirkt sich das auf den Einsatz von Technologie in deinen Sets aus?

Marco Shuttle / Beim Auflegen ist meine technische Herangehensweise sehr einfach. Ich lege zu 80% Vinyl auf, nutze aber auch CDJs. Record Box kommt bei mir nicht zum Einsatz und ich loope und synce Tracks auch nicht. Wichtig sind mir vielmehr eine gute Anlage und gut eingestellte Plattenspieler.

Beat / Eine eher traditionelle Perspektive also.

Marco Shuttle / Ich mag es beim Auflegen auf jeden Fall einfach und puristisch. In bin, was das Mixing angeht, recht gut und das verschafft mir zwischen den Übergängen ausreichend Zeit, darüber nachzudenken, was ich als nächstes spielen möchte, was gut passen könnte, in welche Richtung die Reise gehen soll und wie ich die nächsten Minuten gestalte. Das ist doch der eigentliche Kern der Sache.

Beat / Ist deine Herangehensweise anspruchsvoller als die der meisten anderen DJs?

Marco Shuttle / Wenn du so vielseitig auflegst, wie ich es tue, musst du auf jeden Fall mehr üben. Wenn ich eine Platte auflegen möchte, bin ich stur: Auch wenn es schwer ist, sie in mein Set einzubauen, übe ich so lange, bis es geht. Ich versuche auch, ständig meine Sets zu ändern und sie mit neuen Stücken an zu reichern.

Beat / Warum eigentlich?

Marco Shuttle / Ich bin irgendwie besessen von der Vorstellung, jemand könnte zwei meiner Shows gleich nacheinander besuchen und dann meinen, ich spiele einfach den gleichen Scheiss wie beim vorigen Mal. Das ist natürlich albern und wird nie passieren. Aber ich kann mich nicht davon lösen. Und auch wenn die Vorstellung unrealistisch und auch irrelevant ist, denke ich, dass sie letzten Endes etwas Gutes hat.

Beat / Wenn du darüber nachdenkst, was du als nächstes auflegen möchtest, was geht dir dabei durch den Kopf?

Marco Shuttle / Wenn du mit Vinyl auflegst, ist der Entscheidungsprozess noch stärker mit deinen Gefühlen verbunden und noch weniger mit Nachdenken. Das liegt daran, dass du anders nach Tracks suchst als in einer digitalen Umgebung. Deine Augen und dein Tastsinn sind viel intensiver beteiligt.

Beat / Und das führt zu anderen Selektionen?

Marco Shuttle / Es gibt mir auf jeden Fall ein Bewusstsein dafür, was zusammenpasst und was nicht. Dieses Bewusstsein entsteht teilweise schon deutlich vor dem Auftritt, manchmal sogar bereits, wenn ich eine Platte kaufe. Ich plane auch ein wenig vorher, es gibt eine Struktur. Meine Sets sind üblicherweise in Kapitel unterteilt. Zunächst gibt es eine Phase, in der das Set ein wenig zerebraler und durchdacht ist, in der ich die Stücke auch ein wenig länger spielen lasse, um die Crowd zu hypnotisieren. Aber sobald ich das Tempo anhebe und das Energie-Level steigt, wechsle ich teilweise alle zwei Minuten die Musik. Und dann übernimmt mein Instinkt.

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