Das Berliner Trio ist seit dem Hit „Bad Kingdom“ Everybody’s Darling. Feiern mit viel Gefühl, darin gipfelt die Wirkung ihres mächtigen Sounds, der Breakbeat-, Techno-, Dub- und Songstrukturen zum Trademark macht. Das Feiern des Moderat-Feelings ist Fan-Wunsch – weltweit: Die Live-Tour zum Album „III“ ist vielerorts ausverkauft. Und doch: Bei Moderat kein Sell-out an Majors. Lieber befreien sie weiter sich und elektronische Musik-Regeln!
Das Projekt Moderat entstand aus den Berliner Projekten Apparat (Sascha Ring) und Modeselektor (Gernot Bronsert, Sebastian Szary). Das Wortspiel passt zur Stimmung ihrer Musik, die maßvoll und gedämpft implodiert. Ihr Sound-Gebräu liefert elektronische Andacht mit Filmreife. Kino im Kopf und im Ohr entstehen durch Modular-Synthies und Traumsequenz-Vocals, experimentierfreudige (Break-)Beats und urban geerdete Bässe.
Moderat vermitteln (mit) Leichtigkeit zwischen tonnenschwerer Melancholie und urplötzlichen Energie-Erdbeben. Als Supergroup ihrer eigenen Szene vereinen sie Gefühle aus Himmel und Hölle in ihren Tracks zu introspektiven Trips. Auf ihrem aktuellen Longplayer „III“ weichen sie gelernte Track-Strukturen dabei noch mehr auf denn je. Es geht darum, Songs zu destillieren.
Emotionale Intelligenz
Die Typografie der „III“ kommt mitsamt einem diagonal liegenden Balken der drei römischen Ziffern, so, wie man das bei 5er-Strichlisten macht. Ein Verweis auf einen Abschluss ihrer Sound-Trilogie, die sie, einst als Experiment geplant, mit dem 2009er-Album „Moderat“ begannen!? Schätzungsweise gibt es aber auch nach der Saison 2016 kein zurück. Zu groß, zu schön, zu tief sind Moderat.
Gleich, ob die Projekte Apparat und Modeselektor alleine laufen konnten und sicher auch wieder könnten, die Supergroup hat nur zu dritt diese ganz spezielle Dynamik. Das wissen sie auch selber, sagt mir Gesprächspartner Sebastian Szary: „Wir haben nach der 2014er-Tour gemerkt, wie sehr das Moderat-Ding auch für uns abgeht. Und dann haben wir uns entschieden, weiterzumachen! Und eben nicht in den alten Projekten weiterzumachen. Uns war klar, wir wollen und sollen wieder zu dritt ins Studio!“
Intelligente Entscheidung oder Vorsehung? Schließlich ist den genannten Ursprungs-Projekten wie auch Moderat nebenbei der „discogs“ Style-Eintrag „IDM“ gemeinsam. Der steht dort für „Intelligent Dance Music“ - zugegeben, ein irgendwie bemühter Begriff. Und doch, wenig Musik des elektronischen Fachs hat in den letzten zehn Jahren so viele Menschen durch ihren intelligenten, weil feinfühlig emotionalen Zugang erreicht. Daneben ist das große Verdienst von Moderat, dass sie jederzeit sofort im Sound als Moderat erkannt werden.
Moderat: zu dritt - und doch allein
Sie haben einfach ihre ganz ureigene Mischung. UK-Breakbeat-Klänge in ihre unzähligen Schattierungen sind aber nur ein Schlüssel zum Verständnis ihre Sounds. Der ist schon immer auch typisch Berlin gewesen. Das heißt, er bezog das Kontinuum der frühesten Rave-Zeiten mit ein, als Techno, Breakbeats und alle weiteren Genres friedlich koexistierten, noch nicht in Schubladen gedacht wurden, sagt Szary: „Uns alle eint ja die Rave-Kultur ab 1990. Wir waren tatsächlich pure Wendekinder, sind alle in den 70ern geboren, wir waren also zur richtigen Zeit jugendlich gewesen“. Szary muss selber schmunzeln, und doch ist mitsamt ihrer Musik ganz klar, was er meint. Moderat sind keine Style-Faschisten, sondern neugierige Studio-Wizards, die das Erleben der Gründertage mit den plötzlich neu gewonnenen Freiheiten bis heute leben. Wie sie all ihre Einflüsse und Ideen zum äußerst homogenen Moderat-Style zusammenfügen, will ich wissen.
„Es kommt natürlich mehr Gehalt und Masse raus“, meint Szary, „wenn drei zusammen produzieren. Dann ergibt das viel mehr, als wenn jeder sein eigenes Süppchen braut! Auch mehr Gewusel, das ist klar …“ Deshalb ist in der Ideenfindung bei dem Trio „jeder für sich“. Für „III“ hatten sie „zwischenzeitlich 40 bis 50 Skizzen in ihren Studios rumfliegen. Aber meist entwickeln sich dann Eigendynamiken, zum Beispiel, dass ein anderer klammheimlich in deiner Liste rumstöbert, und dann mal heimlich dran weiter arbeitet. Logisch ist das auch produktiv! Bei uns wird aber auch viel diskutiert, manchmal auch lautstark, das muss sein. Besser ist natürlich, wenn die Lösung auf dem kurzen Weg gefunden wird. Das bedeutet übrigens immer, dass es einen Prozess in der gemeinsamen Sache gibt, wo Sascha alleine arbeiten muss! Wenn seine Gesangsspur sitzt, dann geht die Band weiter. Wir gehen dann mit verschiedenen Ideen zu dem Gesangsgerüst in eins unserer zwei Studios, wir haben ja ein ‚gutes’ und ein Raucherstudio (lacht). Und da lässt man den anderen auch zur Not noch mal zwei Stunden alleine. Mit jedem Fortschreiten im Prozess wird dann irgendwann alles feiner und klarer. Letztlich müssen wir dann aber zusammen entscheiden. Wenn das geschieht, gehen wir straight weiter, führen beispielsweise Protokoll über all das, was noch zu machen, und was zu erledigen ist.“
Moderat Studio-Tuning 2016
Fürs Protokoll: An „III“ waren viele Major-Labels interessiert, die Band aber entschied, beim Indie, dem Mutterschiff Monkeytown Records zu bleiben. Hier, so Szary, „passen die Strukturen, und wir haben das so im Griff, dass uns der Major auch nicht weiter gebracht hätte“.
Begonnen mit „III“ haben sie so richtig im September 2014, „hardcore gearbeitet“ ab Frühjahr 2015. Ihre üppigen Analog-Studios waren schon vor Moderat Legende, Ring stand bei seinen Apparat Live-Acts nicht nur mit Synthies, Sequenzern und Delay-Tools auf der Bühne, sondern auch an Gitarre und Piano. Zu dritt sind Moderat von Anfang an darauf aus gewesen, ihren Sound für einen Live-Auftritt zu konzipieren, Band zu sein. Ihr Geräte-Fuhrpark ist riesig, doch ihre Sound-Fixierung lässt keine Grenzen zu. Sie sind immer auf der Suche nach DEM SOUND, der Moderat ist und sein kann - immer aufs Neue: „Für Reminder hatten wir einen Kopf im Sound, den haben wir dann schließlich auf einer Holzpalette im Sommer eingespielt. Die ist fast schon legendär, seit wir das Foto davon auf unserer Page hatten.“ Ob Fans jetzt Holzpaletten nachkaufen?
Wie auch immer – für Moderat gehört die Episode wohl in den Bereich ihrer ohnehin durch Ring an Field-Recordings interessierten Natur. Und der Offenheit, die sie jedem Newcomer auch empfehlen, auf meine Frage nach den drei heißen Tipps für Produzenten. Szary meint: „Erstens: Einfach machen! Zweitens: Sich inspirieren lassen ist richtig, nachmachen nicht. Drittens: Nicht an Regeln kleben!“
Lieber sich mal einige Stunden im freien Fluss an die Synthies kleben, Variationen spielen und aufnehmen. So, wie Moderat es machen, wenn sie mit ihrem Modularsystem aufnehmen. „Prinzipiell“, so Szary, „geschieht vieles in unserem Modularsystem, das auf ‚Intruder’ und weiteren neuen Songs zu hören ist, als Hauptinstrument. Wir nehmen da manchmal endlos Track-Edits auf. Da verliert man sich schon mal im Tuning. Das war dann bei ‚Intruder’ so. Zu dem Track haben wir später einen Live-Bassisten eingeladen. Ab da wurde es echt schwierig, so lange musste der die passenden Noten und Spielweise zu unserem schrägen Tuning suchen, haha …“
Zum richtigen Feintuning ihres perfekten Sounds, wie sie ihn sich in drei individuellen Köpfen erträumen, gehören unzählige Geräte und Plug-ins als Zutaten. Soundforschung betreiben sie stark analog, die finale Produktion in puncto Arrangement, Mixdown und FX passiert „komplett in the box“, wie Szary sagt. Klar ist: Moderat nutzen als Mix-Schaltzentrale nach wie vor ihr Mackie 1604 samt Reverb-Spur. Was hat dieses Mal den Sound (von „III“) maßgeblich mitbestimmt? Szary: „Also, den Juno 60 kramen wir immer gerne raus, den Klassiker 808 haben wir mal bewusst sein lassen, aber die 909 viel verwendet.“ Die mächtigen Moderat-Pads dürfen durchaus das Band-Geheimnis bleiben, und doch hat Szary noch einen kleinen Extra-Tipp: Die „Ethereal Synth Pads“ (DSK) sollten für Fans von Moderats Trademark-Style ein spannendes Forschungsreich eröffnen. Ihre tosenden, erdigen oder wahlweise einfach alles plättenden Bässe, wo kommen die her? „Oft aus dem Crumar Multiman S, das ist ein voll polyphones 70er-Jahre-Keyboard. Wenn man da alle anderen Stimmen ausschaltet, bekommt man im Bassbereich total tolle Ergebnisse! Der Korg MS-10 ist auch immer wieder auf unserer Liste, ah, und der ‚Razor’, der ist wirklich eines unserer liebsten Native-Tools!“
Mehr live!
Von Ende März an sind Moderat wieder live unterwegs, weltweit sind dabei bereits einige Dates von der Heimat Deutschland bis Italien und Kanada ausverkauft. All das, ohne das zum Vorverkaufs-Zeitpunkt jemand „III“ gehört hätte. So viel antizipierende Treue wird das Trio auch live belohnen, die Show weniger „sequenced“ aufbauen. „Live nimmt dir Ableton zu viel ab“, sagt Szary, „wir werden mehr spielen und den Dingen freien Lauf lassen!“
Ihre großartige Video-Sektion, die live wie in Single-Videos seit Anbeginn von den Künstlern der Berliner „Pfadfinderei“ kommt, wird dem Vorgehen folgen. Sie wird weniger auf den getakteten Impuls der Musik ausgelegt sein, als auf freie Bildkomposition. Das wird spannend, schließlich setzten die Video-Künstler das bildhafte Große des Moderat-Sounds immer so um, dass es zum fühlbar filmischen Gesamterlebnis unabdingbar beiträgt.
Ein freierer Lauf bestimmt auch das Album. Die Arrangements auf „III“ lassen mich beim Pre-Listening erahnen, das Moderat einen weiteren großen Schritt gegangen sind. Lineare Track-Strukturen sind seltener geworden. Wir haben es mit cineastisch anmutenden, spannungsgeladenen Songs zu tun, die sich längst ihr eigenes Genre freigeräumt haben. Die Dynamik der Moderat-Songs ist bestimmt von Stücken, die kommen, manchmal aber urplötzlich gehen, die ohne Beat auslaufen, oder auch mal unser Taktgefühl in die Irre führen wollen: „Wir haben sogar zwei drei Viertel getaktete Stücke auf diesem Album, das merkt aber keiner wirklich“, so Szary.
Das bisherige Sahnehäubchen, Saschas Vocals, ist dieses Mal der Boden, die Basis, fast auf allen Tracks vertreten! Die traumwandlerischen Vocals krallen sich abermals tief in Fan-Herzen. Wie das aussieht, weiß jeder, der mal ein Moderat Live-Konzert, ihre fulminanten Festival-Shows oder irgendeinen DJ erlebt hat, der irgendwo auf dem Globus das vor Herzschmerz positiv triefende „Bad Kingdom“ droppte. Das selbstverlorene, glückselige Lächeln der mitsingenden Crowd ist auch in meinem DJ-Hirn tief eingebrannt. Und ich wette, die neuen Stücke wie „Ghostmother“, „Running“ oder „Reminder“ werden spielerisch das gleiche Glücksgefühl auslösen. Ringer singt „burning bridges light my way“, und ich sehe Moderat sinnbildlich, wie sie die Brücken elektronischer Musik-Zugänge niederbrennen, um frei in ihre eigene Zukunft zu schreiten!
Diese Artikel ist in unserer Heft-Ausgabe 125 erschienen.
Moderat Must-have-Diskografie:
2009 | Moderat „Moderat“
2013 | Moderat „II“
2016 | Moderat „III“