Schon lange wurde auf einen polyphonen Synthesizer von Arturia als Ergänzung zu den monophonen Exemplaren wie Micro-, Mini- und MatrixBrute spekuliert. Im Herbst 2020 wurde dann ohne große Vorankündigung der PolyBrute vorgestellt und wenige Wochen später konnten wir schon ein erstes Serienmodell einem Test unterziehen.
Imstrumenten-Feeling
Äußerlich ist der PolyBrute dicht an Arturias bisheriges Synthesizer-Flaggschiff MatrixBrute angelehnt, und wir wollten nach dem Auspacken auch direkt die Bedieneinheit in Minimoog-Manier hochklappen. Das hat allerdings nicht funktioniert, auf diese Option wurde beim PolyBrute leider verzichtet.
Die Verarbeitung des PolyBrute ist makellos, das robuste Gehäuse kombiniert dunkel lackiertes Metall mit Elementen aus Walnussholz. Die Haptik ist hervorragend, lediglich die halbierte Matrix mit 8x12 kleinen beleuchteten Softbuttons steht ein wenig im Widerspruch zum klassischen Aussehen und Feeling. Mit Abmessungen von 97 x 38 x 11 Zentimetern und einem Gewicht von gut 20 kg setzt der PolyBrute ein klares Statement gegen den aktuellen kleiner-leichter-portabler-Trend.
Spielhilfen und sehr gute Tastatur
Auch der Morphee-Controller, eine Mischung aus X/Y-Pad und Expression-Pedal, sorgt für ein außergewöhnliches Design. Der oberhalb der Tastatur platzierte Ribbon-Controller ist dagegen so unauffällig im Holzrahmen platziert, dass man ihn glatt übersehen kann. Leider geht er nicht über den gesamten Tastaturbereich, dennoch lassen sich hiermit neben der Modulation von Filterfrequenz und anderen Klangparametern auch interessante Tonhöhenänderungen im Stile eines Theremins umsetzen. Das Keyboard umfasst volle 5 Oktaven, verarbeitet neben Anschlagdynamik auch Aftertouch und gehört zu den besten Tastaturen, die wir je in einem analogen Synthesizer spielen durften.
Direkte Bedienung
Mit Ausnahme der Matrix und des zugehörigen Reglers gibt es keine Doppelbelegungen, jede Funktion hat ihr eigenes Bedienelement. Für einige Spezialfunktionen wie das Umstellen der Charakteristik der Hüllkurven oder die Synchronisation der LFOs müssen Sie mithilfe des großen grafikfähigen Displays und der 8 dazugehörigen Taster in Menüs eintauchen, wobei durchdachte und auf der Oberfläche gekennzeichnete Shortcuts die Bedienung erleichtern. Insgesamt hat uns die Bedienung des PolyBrute sehr gut gefallen, wir haben im Test kaum einen Blick in das Handbuch werfen müssen.
Beschränkte Konnektivität
Bei den Anschlüssen hat Arturia gegenüber dem MatrixBrute ordentlich eingespart. Vorbildlich ist der auf der Vorderseite angebrachte Kopfhöreranschluss. Auf der Rückseite finden Sie den Stereoausgang in Form von zwei leider unsymmetrisch ausgelegten Klinkenbuchsen. Die drei Pedaleingänge Expression 1+2 sowie Sustain erlauben ausdrucksstarkes Spiel per Fuß. Memory Protect sowie das MIDI-Trio dürften selbsterklärend sein. Auf CV/Gate-Anschlüsse zur Verbindung mit analogem Equipment wurde leider verzichtet, es gibt lediglich Clock IN/OUT zur Synchronisation. Und auch einen Eingang zum Bearbeiten externer Audiosignale mit Filter und Effekten haben wir gegenüber dem MatrixBrute vermisst.
Vollautomatisiert inkl. Editor
Der USB-Anschluss fungiert nicht nur als USB-MIDI-Interface, sondern stellt auch die Verbindung zu Arturias kostenloser Editor-Software her. Mit dieser Software können Sie den Synthesizer editieren und Sounds speichern. Bei Nutzung als VST-Plug-in ermöglicht dies Total Recall, also das Abspeichern von Sounds gemeinsam mit dem aktuellen Song in der DAW. Besonders schön: Der USB-Anschluss stellt dabei einen eigenen Kanal zur Verbindung mit der Software zur Verfügung, sodass sich Editor und DAW nicht in die Quere kommen! Nahezu jeder Regler des MatrixBrute empfängt und sendet MIDI-Controller und lässt sich in der DAW automatisieren.
2 Brute-Oszillatoren
Auch bei den Oszillatoren wurde ein wenig abgespeckt gegenüber dem MatrixBrute, es gibt nur noch zwei statt drei pro Stimme. MicroBrute oder MiniBrute verfügen aber im Vergleich sogar nur über einen dieser speziellen Brute-Oszillatoren, der in seinen klanglichen Möglichkeiten weit über die übliche Standardkost hinausgeht. Und der 6-stimmige PolyBrute hat insgesamt 12 Oszillatoren zur Verfügung, die sich im Unisono-Modus auch zu einer superbreiten Soundwand schichten lassen.
Metalizer, Sync und FM
Zwischen den verschiedenen Grundwellenformen lässt sich stufenlos überblenden, PWM und Supersaw sorgen für fette verstimmte Sounds. Oszillator 1 bietet den Metalizer für obertonreiche metallische Klänge, dieses Wavefolding lässt sich erstmals auch auf andere Wellenformen als Dreieck anwenden und ist damit klanglich noch ergiebiger. Oszillator 2 verzichtet darauf, lässt sich dafür aber stufenlos zu Oszillator 1 soft- oder hardsyncen und kann diesen im Gegenzug auch frequenzmodulieren. Der Suboszillator schwingt eine Oktave tiefer und bietet nur Sinus, hier wäre eine Rechteck-Option noch schön gewesen.
Etwas weniger brutal
Klanglich zeigen sich die Oszillatoren auch bei aufgedrehtem Gain etwas zahmer und weniger aggressiv als bei den anderen Brute-Synthesizern, hier hat Arturia wohl mehr Headroom spendiert. Das macht durchaus Sinn bei einem polyphonen Synthesizer und so wird der PolyBrute auch für diejenigen interessant, die dem charakteristischen Brute-Sound bisher nicht viel abgewinnen konnten.
Außergewöhnlich ist die flexible Gestaltung der Tonhöhen der beiden VCOs, die sich in Halbtönen oder auch in wählbaren Tonskalen einstellen lässt.
Zwei verschiedene Filter
Für den speziellen Brute-Sound der Arturia-Synthesizer ist neben dem Oszillator das außergewöhnliche Steiner-Multimode-Filter mit regelbarer Feedback-Schleife verantwortlich, das auch im PolyBrute verbaut wurde. Es bietet 12 dB Flankensteilheit, auf die 24dB Option des MatrixBrute wurde ebenso verzichtet wie auf die vorgeschaltete Drive-Sättigung.
Filter 2 ist dagegen ein klassisches Ladder-Filter und im PolyBrute auf ein 24dB-Tiefpassfilter beschränkt, ein regelbares Distortion sorgt hier statt BruteFactor für harmonisch angezerrte Sounds. Hervorzuheben ist, dass auch bei hohen Resonanzwerten kaum ein Verlust im Bassbereich auftritt, wie es sonst bei Ladderfiltern oftmals der Fall ist. Beide Filter gehen bei hohen Resonanzwerten in die Selbstoszillation, aber nur das Ladder-Filter lässt sich tonal sauber spielen.
Stereo-Option
Zwischen den Filtern hat Arturia einen großen silbernen Master-Cutoff-Regler angebracht. Er regelt die Cutoff-Frequenz beider Filter gleichzeitig, und zwar relativ zum jeweils eingestellten Wert - perfekt für die Live-Performance oder für Parametermodulationen. Auch das Keytracking der Filter wird global für beide Filter gemeinsam geregelt.
Eine interessante Neuheit ist noch dazu gekommen: Beide Filter lassen sich getrennt im Stereo-Panorama verteilen, was spektakulär breite Flächen und Leads ermöglicht. Da sich jeder Oszillator sowie der Rauschgenerator beliebig auf Steiner- oder Ladder-Filter oder beide Filter routen lässt und diese wiederum parallel oder seriell geschaltet sein können, sind die Klangoptionen beeindruckend. Vom klassischen Moog-Lead über knackige HP/LP-Kombisequenzen im MS20-Style bis hin zu ultrabreiten Synthpads ist hier alles umsetzbar.
Drei Hüllkurven
Der PolyBrute bietet drei Hüllkurven, die jeweils über die Standardparameter Attack, Decay, Sustain und Release verfügen. Bedient werden sie per Fader, die gerne auch etwas länger hätten sein können. Dafür haben Sie aber Zugriff auf alle drei Hüllkurven gleichzeitig und müssen nicht umschalten. Die Hüllkurven bieten zusätzlich zur flexiblen Standardeinstellung auch einen perkussiven Modus für schnelle und knackige Verläufe. Per Anschlagdynamik lassen sich sowohl Intensität als auch Zeiten der Hüllkurve steuern, was PolyBrute zu einem mehr als passablen Bass-Synthesizer macht, der sich im direkten Vergleich auch nicht hinter einem Moog Sub37 verstecken musste. Die dritte Hüllkurve ist nicht intern mit Filter bzw. Lautstärke vorverdrahtet, sondern kann frei zugewiesen werden. Sie verfügt zusätzlich über einen Delay-Fader, mit dem Sie den Einsatz der Modulation verzögern.
Flexible Modulatoren
Als weitere Modulationsquellen besitzt der MatrixBrute 3 LFOs mit jeder Menge Optionen, wobei LFO3 auch als Mini-Hüllkurve mit variablem Verlauf genutzt werden kann. Dazu können Sie mit Motion-Record noch Ihren individuellen vierten LFO live einschrauben, und für klassisches Vibrato steht ein weiterer LFO zur Verfügung.
Matrix-Sequenzer
Die Matrix wurde gegenüber dem MatrixBrute mehr als halbiert und bietet 8 x 12 mehrfarbige Softbuttons. Sie sind etwas klein und wabbelig ausgefallen und haben keinen fühlbaren Druckpunkt, woran man sich aber mit der Zeit gewöhnt. Im Preset-Modus können Sie hiermit jeweils 96 gespeicherte Sounds in einer der 8 internen Bänke direkt anwählen. Die Matrix dient auch der Editierung des Sequenzers. Eine Sequenz kann bis zu 64 Steps lang sein, aufgeteilt in vier untereinander liegende 3er-Reihen mit 8 Steps. Die vier Reihen setzen sich zusammen aus Note, Accent und Slide. Die Noteneingabe erfolgt Step-by-Step oder in Echtzeit, bis zu 6-stimmig polyphon. Auch Parameterbewegungen wie z. B. Filterfahrten lassen sich in drei Modulationsspuren aufzeichnen. Die aufgenommene Sequenz ist per Tastatur im unteren Bereich trigger- und transponierbar, auf den oberen Tasten können Sie einen weiteren Sound darüber spielen.
Zusätzlich zum klassischen Arpeggiator gibt es auch den Matrix-Arpeggiator, bei dem Sie über die Buttons Einfluss auf Reihenfolge und Oktavlage der gespielten Noten nehmen können.
Modulationsmatrix
Über die Matrix verschalten Sie auch die Modulationsquellen und -ziele. Hierzu drücken Sie einen der acht runden Taster unterhalb des großen und grafikfähigen Displays und bewegen gleichzeitig einen beliebigen Regler (z. B. Cutoff vom Steiner-Filter), um ihn als Modulationsziel auszuwählen. Auf der Y-Achse finden Sie unter anderem die Hüllkurven, LFOs, Velocity und die drei Morphee-Achsen. Jetzt müssen Sie nur den Button drücken, der auf der Y-Achse LFO1 und auf der X-Achse Steiner-Cutoff entspricht, und dann können Sie per Drehregler die Stärke der rhythmischen Filtermodulation einstellen (negativ oder positiv). Die Taste leuchtet, bei einem weiteren Druck erlischt sie wieder und die Modulation ist deaktiviert - einfacher geht es kaum.
Morph-Funktion
Das absolute Highlight und Alleinstellungsmerkmal unter den analogen Synthesizern ist die Morph-Funktion. Mit dem PolyBrute können Sie zwei völlig verschiedene Sounds erzeugen und diese entweder layern oder splitten, also mit der linken und rechten Hand unterschiedliche Sounds spielen. Zwischen diesen beiden Sounds können Sie aber auch stufenlos morphen, und dieser Morph-Regler kann auch automatisiert werden.
Intuitive Bedienung
Die Bedienung ist kinderleicht. Drehen Sie den Morphregler nach links und stellen Sie sich Ihren Wunsch-Sound ein oder greifen Sie auf ein Preset zurück. Kopieren Sie diesen Sound auf Stellung B und verändern Sie diverse Parameter wie Filterfrequenz, Hüllkurven, Hallraum und Delay-Feedback. Oder stellen Sie komplett andere Sounds ein, z. B. ein Pad auf Stellung A und einen knackigen Bass auf Stellung B. Und dann können Sie mit dem Regler oder Morphee oder einer anderen Spielhilfe fließend zwischen den beiden Sounds morphen, wobei jeder geänderte Parameter stufenlos von einem Wert zum anderen gleitet. Sollte Ihnen ein Zwischenwert dabei gut gefallen, können Sie diesen Mischsound als neues Preset speichern. Die Morph-Funktion erlaubt einerseits subtile, organische Änderungen von Sounds und Sequenzen. Anderseits lassen sich bei Sounds mit unterschiedlichen Einstellungen des Filter-Routings und der Effekte auch spektakuläre Klangeskapaden erstellen. Und die Bedienung ist so intuitiv gelöst, dass wir uns im Test stundenlang in neuen Soundwelten verlieren konnten.
Drei Effekte
Drei separate Effekte bietet der PolyBrute. Sie werden digital erzeugt und sind global verfügbar. Für die zwei möglichen Sounds A/B lassen sich also keine unterschiedlichen Effekte einstellen, sondern nur unterschiedliche Effektanteile. Der Modulationseffekt mit Chorus, Phaser, Flanger, Bitcrusher und weiteren Variationen ist als Insert-Effekt ausgelegt. Delay und Hall bieten ebenfalls verschiedene Algorithmen und können wahlweise auch als Send-Effekte genutzt und so aus dem analogen Signalweg herausgenommen werden. Die Effektparameter wie Intensität und Zeit lassen sich z. B. per LFO oder Sequenzer modulieren und auch in das Morphing einbinden.
Das Warten auf den ersten polyphonen Analogsynthesizer von Arturia hat sich gelohnt, denn die Franzosen haben mit dem PolyBrute einen modernen Klassiker geschaffen. PolyBrute orientiert sich nicht an bewährten Vintage-Synthesizern, sondern überzeugt mit eigenständigem Konzept, Design und Klangcharakter. Der Sound ist für einen analogen Synthesizer extrem vielseitig. Hierfür ist neben flexiblen Oszillatoren, Dual-Filter und großer Modulationsmatrix vor allem die Morph-Funktion verantwortlich, die den PolyBrute einzigartig macht. Bewährte Spielhilfen wie Arpeggiator und Ribbon bilden eine perfekte Kombination mit modernen Features wie dem polyphonen Matrix-Sequenzer, der Aufzeichnung von Parameterfahrten, Morphee-Controller, Speicherbarkeit und Bedienung per VST-Plug-in. Die sehr gute Tastatur mit 5 Oktaven, eine tolle Haptik und durchdachte Bedienung machen den PolyBrute zu einem äußerst begehrenswerten Instrument für klassische Synthesizerklänge, insbesondere aber für eigene Signature-Sounds mit hohem Wiedererkennungswert.
- flexible Klangerzeugung
- Morph-Funktion
- Dual-Filter
- Stereo-Optionen
- modulierbare Effekte
- polyphoner Sequenzer
- viele Spielhilfen
- solide Verarbeitung
- Editor