Mit der Wavestation stellte Korg im Jahre 1990 eine völlig neue Syntheseform vor, die bis dato nie gehörte animierte Synthesizer-Klänge erzeugen konnte und nachfolgend gefühlt in jedem zweiten Song oder Werbespot in Radio und TV zu hören war. Nach dem großen Wavestation-Keyboard folgten noch Ableger im Rackformat. Besonders interessant war dabei die Wavestation A/D mit Audioeingang, die auch als gut klingende Vocoder genutzt werden konnte.
Trotz des Anfangserfolgs der Wavestation konzentrierte sich Korg bereits einige Jahre später auf andere Klangsynthesen und Wave-Sequencing geriet mehrere Jahrzehnte in Vergessenheit. Daran konnte auch die Integration einer eingeschränkteren Version in die großen Synthesizer-Flaggschiffen wie Oasys und Kronos sowie die Veröffentlichung eines auf der Original-Wavestation basierenden Plug-ins vor 15 Jahren nicht viel ändern. Jetzt, wo der Analogmarkt gesättigt scheint und viele Keyboarder und Produzenten eher nach eigenständigen und flexiblen Digitalsynthesizern Ausschau halten, reaktiviert Korg die 30 Jahre alte Synthese.
Klapprige Tastatur ohne Aftertouch
Beim äußeren Format orientiert sich Korg allerdings an neueren Modellen. Form, Design und Haptik des Wavestate erinnern an den Korg Minilogue, allerdings sind die 37 Tasten des Keyboards in voller Größe. Die anschlagdynamische Tastatur ist allerdings nur von durchschnittlicher Qualität und für unseren Geschmack etwas zu leichtgängig und laut, sie erinnert an das mäßige Keyboard im Prologue. Vor allem der Verzicht auf Aftertouch ist unverzeihlich. Es hätte ja nicht zwingend polyphoner Aftertouch wie beim Konkurrenten ASM Hydrasynth sein müssen (Wavestate kann diese Informationen empfangsseitig verarbeiten), aber zumindest einfacher Aftertouch ist bei solch einem Synthesizer eigentlich Pflicht. Aus unserer Sicht sinnvoll ist entweder ein einfaches Keyboard mit kleinen Tasten und dafür kompakt und transportabel oder aber ein großes Keyboard mit vernünftiger Tastatur. Wavestate sitzt irgendwie zwischen den Stühlen. Hoffen wir mal, dass Korg noch eine Version mit gutem 61er-Keyboard und/oder eine tastaturlose Desktop-Variante nachschiebt, damit Sie Ihr Lieblings-Masterkeyboard anschließen können.
Oberhalb der Tastatur gibt es noch die zwei Räder für Modulation und Pitchbend sowie den von der Wavestation übernommenen, etwas zu leichtgängigen Joystick mit vier belegbaren Achsen zum Morphen zwischen den Sounds.
Menülastige Bedienung trotz vieler Regler
Insgesamt will bei dem Plastikgehäuse nicht so richtig Begeisterung aufkommen, umso mehr erfreut uns als langjährige Nutzer der Wavestation aber die im Vergleich zum Original üppige Ausstattung mit Bedienelementen. Vor allem die 8 weißen Mod-Knobs werden viel Beachtung finden, da Sie als Makro-Controller ausgewählte Parameter einer Performance steuern und bei den vielen mitgelieferten und größtenteils sehr guten Presets schon musikalisch sinnvoll vorbelegt sind. Denn trotz der weiteren 15 Drehregler für den Direktzugriff auf Klangerzeugung und Effekte ist Wavestate weit von einer intuitiven und schnell erlernbaren Programmierung eigener Sounds entfernt. Dafür sind die Möglichkeiten der Klangsynthese einfach zu komplex. Es gibt jede Menge Doppelfunktionen für die Regler und oftmals ist noch zusätzliches Eintauchen in Menüs erforderlich, wobei wir uns öfter einmal beim Editieren ein noch größeres Display gewünscht hätte – am besten mit Touchfunktion. Vor allem beim Scrollen durch die zahlreichen PCM-Samples, die die Grundlage der Klangerzeugung bilden, braucht man doch einige Geduld. Eine weitreichend konfigurierbare Random-Funktion hilft immerhin, eigene Sounds auch ohne tieferes Verständnis der Klangerzeugung zu erzeugen.
Anschlüsse auf das Wesentliche reduziert
Alle Anschlüsse befinden sich auf der Rückseite und sind schnell abgehandelt. MIDI-Daten werden über USB oder zwei DIN-Buchsen (IN/OUT) empfangen und gesendet. Audiosignale gelangen über zwei symmetrische Klinkenbuchsen und einen Kopfhöreranschluss an die Außenwelt. Zusätzliche Einzelausgänge gibt es nicht, obwohl Wavestate multitimbral ist und daher mehrere Sounds gleichzeitig erzeugen kann. Auch ein Audioeingang wie bei der Wavestation AD fehlt leider.
Es gibt nur einen Spielhilfenanschluss für ein Damper-Pedal. Wenn schon auf Aftertouch verzichtet wird, hätte Korg zumindest einen Anschluss für ein Expression-Pedal integrieren können. Keyboarder werden aber ohnehin eine vernünftige externe Tastatur mit Aftertouch und zusätzlichen Controller-Anschlüssen nutzen. Die Stromversorgung erfolgt über ein externes Netzteil.
Transparenter Digitalsound mit 90er-Touch
Die Enttäuschung über die etwas billig wirkende Verpackung und eingeschränkte Ausstattung verfliegt schnell beim Durchhören der ersten Presets. Wer die prägnanten Wavesequenzen aus den 90ern erwartet, wird nicht enttäuscht. Allerdings gehen die klanglichen Möglichkeiten des Wavestate dank zusätzlicher Samples, resonanzfähiger Filter und gut klingender Effekte weit darüber hinaus. Jede Menge transparenter und durchsetzungsfähiger Sounds erfreuen unser Ohr, von modulierenden Pads über schneidige Leads und Wobble-Bässe bis hin zu modernen Rhythmen ist alles möglich. Interessant ist auch das Vermischen von synthetischen und akustischen Instrumenten innerhalb einer Wave-Sequenz.
Auffällig ist der sehr klare Klang, der fast schon einen Exciter-Einsatz am Masterausgang vermuten lässt.
Deutlich erweiterter Sample-Pool
Das macht natürlich neugierig auf die Details der Klangerzeugung. Die Basis bilden wie bei der Wavestation (Multi-)Samples, aufgenommen aus verschiedensten Quellen. Diese Samples lassen sich einzeln oder aneinandergereiht abspielen, Letzteres sorgt dann für die berühmten Wave-Sequenzen. Pro Program ist eine Wave-Sequenz erlaubt, in einer Performance lassen sich vier dieser Programme schichten. Es sind also maximal vier Waves bzw. Wave-Sequenzen auf Tastendruck abfeuerbar. Die Wave-Station hatte da mit bis zu 32 Waves mehr zu bieten, die komplexen Rhythmen des Originals sind daher nur eingeschränkt reproduzierbar. Allerdings wird dies durch den immens größeren Sample-Speicher mehr als kompensiert. Statt der 2 Megabyte der Wavestation bietet Wavestate satte 2 Gigabyte! Da es sich um beschreibbaren Speicher handelt, dürfte theoretisch auch ein Import eigener Samples möglich sein, momentan sind Sie aber auf die mitgelieferten Samples angewiesen. Das ist verschmerzbar, denn im umfangreichen Sample-Pool sollte für jeden Geschmack etwas Passendes zu finden sein. Und die Samples dienen ja nur aus Ausgangsbasis für die weitere Bearbeitung. Bei vielen Samples lässt sich auch der Startpunkt und damit teils signifikant der Sound ändern.
Wavesequencing 2.0
Richtig spannend wird es, wenn Sie die Samples zu einer Sequenz verknüpfen. Bis zu 64 Samples lassen sich in einer Sample-Spur in beliebiger Reihenfolge und Abspielrichtung anordnen, die 16 von Minilogue & Co. bekannten beleuchteten Steptaster erleichtern die Programmierung. Die Länge der einzelnen Steps kann über die Timing-Spur verändert werden, wobei jede der Sequenzerspuren auch eine unterschiedliche Länge haben kann. Tonhöhe und Gate lassen sich über zwei weitere Spuren modulieren, die Shape-Spur sorgt für unterschiedliche Verläufe je Step und eine sechste Spur dient zur Modulation beliebiger Parameter.
Modulierbare Spurparameter
Jede Spur hat diverse einstellbare Parameter wie beispielsweise Xfade, was zu einem fließenden Übergang zwischen den einzelnen Steps führt. Xfade selbst ist ebenfalls modulierbar, sodass sich eine Wavesequenz von einem perkussiven Rhythmus hin zu einem fließenden Ambientpad entwickeln kann. Ohnehin lassen sich diverse Spurparameter von Quellen wie LFO, Envelope und den vier eingebauten Arpeggiatoren modulieren. Mit dem Probability-Parameter bestimmen Sie zusätzlich die Wahrscheinlichkeit, ob ein Step bei einem Durchlauf gespielt wird oder nicht. Eine Masterspur schließlich kann dafür sorgen, dass die anderen Spuren nach einer einstellbaren Zeit wieder gemeinsam starten und das polyrhythmische Chaos sich neu aufbaut.
Resonanzfilter mit verschiedenen Typen
Mit den verschiedenen Spuren sorgen Sie bereits auf Oszillatorebene für jede Menge Abwechslung und Bewegung. Der nachfolgende Aufbau des Wavestate ist klassisch subtraktiv. Die Möglichkeit des Oszillatorsync ist im Wavestate zwar weggefallen, dafür darf man aber über das Multimodefilter mit Resonanz jubilieren, das bei der Wavestation so schmerzlich vermisst wurde. Mit 12 verschiedenen Varianten inklusive überzeugende Nachbildungen der klassischen Analogfilter aus dem Korg Polysix und MS20 sowie der Option, Multifilter-Ausgang und unbearbeitetes Signal zu mischen, wertet das neue Filter im Wavestate die Klangpalette gehörig auf.
Modulationsprozessoren und sehr gute Effekte
An Modulationsquellen wurde auch nicht gespart, neben drei Hüllkurven und vier flexiblen LFO gibt es zwei Modulationsprozessoren, die verschiedene Funktionen übernehmen und sich sogar gegenseitig beeinflussen können. Das hat dann schon das Niveau großer Modularsysteme.
Jedes der vier Programme bietet zum Abschluss noch drei Effekte, die simultan nutzbar sind. Pre ist für die abgefahreneren Effekte wie Ringmodulator und Waveshaping zuständig und Mod übernimmt die Modulationseffekte wie Chorus und Flanger. Abschließend gibt es noch ein Delay in fünf Variationen. Mit zwei doppelt belegten Reglern passen Sie vorgegebene Effektparameter an, eine tiefergehende Programmierung ist nicht vorgesehen.
Vierfach multitimbral, Vectorsynthese
Die oberste Ebene beim Wavestate nennt sich Performance und vereint vier Layers. In einem Layer versehen Sie ein Programm mit einem Arpeggiator und können Keyboard- und Velocity-Zonen dafür einstellen, um die vier Programme über die Tastatur zu verteilen oder per Anschlagdynamik umzuschalten.
Auf Performance-Ebene finden Sie auch die der Vector-Synthese entliehene Option, zwischen den verschiedenen Programmen per Joystick oder automatisiert per Vector-Hüllkurve überzublenden. Auf Performance-Ebene zeigt sich auch noch einmal eindringlich, dass die Möglichkeiten des Wavestate nahezu unendlich sind. Mehr als 1.000 Modulationsziele stehen hier zur Auswahl, und die Anzahl der zur Verfügung stehenden Modulationslots unterliegt ebenfalls praktisch keiner Begrenzung. Wie oben bereits angedeutet bedeutet dies aber auch, dass trotz der relativ vielen Regler und Taster noch jede Menge Menüarbeit notwendig ist, wenn Sie alle Optionen nutzen wollen.
Digitale Konkurrenz
Der Trend scheint aktuell weg von eingeschränkten Analogsynthesizern hin zu flexiblen Digitalsynthesizern zu gehen, deshalb hat der Wavestate durchaus einige ernstzunehmende Konkurrenten. ASM Hydrasynth bietet ebenfalls einen eigenständigen und flexiblen Digitalsound und punktet mit intuitiver Bedienung ohne viel Menü-Diving, zudem gibt es neben der Desktop-Version mit Pads eine Variante mit sehr guter Tastatur, in beiden Fällen mit polyphonem Aftertouch. Argon8 von Modal hat ein robusteres Gehäuse und ebenfalls eine viel bessere Tastatur. Die Klangerzeugung ist zwar weniger flexibel, dafür haben Sie fast alle Parameter im Direktzugriff. Waldorf Blofeld punktet mit Metallgehäuse und sehr guter Tastatur, kann von den klanglichen Möglichkeiten aber auch nicht mit Wavestate mithalten.
Fazit
Es ist fast unglaublich, was Korg alles an klanglichen Möglichkeiten in den kompakten Digital-Synthesizer im etwas billig wirkenden Plastikgehäuse gepackt hat. Der mehrspurige Wavesequenzer sorgt in Verbindung mit der umfangreichen Sample-Library für Sounds, Sequenzen und Rhytmen, die Erinnerungen an digitale Klassikern wie PPG Wave, Prophet VS, Roland D50 und natürlich Korg Wavestation wecken. Darüber hinaus sind aber auch alle Arten von moderneren Klängen programmierbar, die problemlos in aktuellen Pop, Elektro, Hiphop und EDM-Produktionen verwendbar sind und dabei für einen gewissen Touch von späten 80er und frühen 90er Jahren sorgen können. Und die Modulationsmöglichkeiten vor allem auf Performance-Ebene werden Sie auch nach mehreren Jahren intensiver Nutzung nicht komplett ausgenutzt haben.
Kehrseite der Medaille ist allerdings, dass Sie tief in die Menüs eintauchen müssen, wenn Sie sich nicht auf das Abspielen der vielen gut klingenden Presets und Anpassung über die Makro-Regler beschränken wollen. Und die Menübedienung über mehrere Taster und das relativ kleine Display ist nicht unbedingt optimal gelöst. Diesbezüglich lässt sich gegebenenfalls mit einem Software-Editor Abhilfe schaffen. Unverzeihlich ist bei einem solchen Instruments allerdings die klapprige Tastatur ohne Aftertouch.
Zweite Meinung gefällig? Bei unseren Kollegen von Amazona können Sie einen weiteren Testbericht zu diesem Produkt lesen.
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