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Blockchain & NFT: Endlich tausende Euro mit der Musik verdienen?

Für die eigene Musik so viel verlangen wie für ein Gemälde? Dieser Traum könnte schon bald real werden. Denn Blockchain-Konzepte wie NFTs sind dabei, die Industrie zu verändern. Für einige Musiker hat sich das bereits bezahlt gemacht. Die Tür zu einer neuen Welt scheint sich zu öffnen – doch wollen wir das wirklich?

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Der portugiesische Musiker André Allen Anjos hat allen Käufern seines Tapes „Boy“ einen kleinen Brief geschrieben. „Ich hoffe, du bist stolz darauf, dass du einen Beitrag dazu lieferst, dass Künstler ihre Freiheit gewinnen“. Das sind große Worte. Aber dies ist auch kein handelsübliches Album, sondern das teuerste Tape der Welt. Zwei Monate nach Veröffentlichung wurde die Cassette für bis zu $4500 gehandelt. Nicht die entspannte und eher unspektakuläre Musik, sondern der außergewöhnliche Preisbildungsmechanismus war für solch stolze Zahlen verantwortlich: Anjos verkauft streng genommen keine Alben, sondern einen digitalen Gutschein. Damit kann der aktuelle Besitzer zweierlei tun: Ihn entweder gegen eines der weltweit 100 Exemplare eintauschen. Oder ihn weiterverkaufen. Wie eine Aktie wechselte dieses Recht mehrfach das Portfolio und erlebte Hoch- und Tiefphasen. Nachdem die Euphorie über die Idee verflogen und der Preis wieder deutlich gesunken war, pendelte sich der Wert des Tapes auf ungefähr $200 ein und wollten die meisten Besitzer dann doch das physische Produkt. Für RAC ist das Projekt schon jetzt ein Erfolg: „Wenn du den Markt entscheiden lässt, näherst du dich dem wahren Wert von Produkten an. Vielleicht ist dieses Tape ja wirklich $200 wert. Wenn ich aber von Anfang an gesagt hätte: „Hey Leute, ich verkaufe eine Cassette für $200“, hätte man mich für verrückt erklärt.“  Es ist ein verlockender Gedanke – so verlockend sogar, dass einige ihn für die Zukunft der Musikindustrie halten.

Bewährte Technologie

Bei der technischen Umsetzung verlässt sich „Boy“ auf eine bewährte Technologie: die Blockchain. Jeder Gutschein enthält sämtliche Informationen über alle vergangenen Käufer und Verkäufer sowie sämtliche relevanten Transaktionsdetails. Diese Informationen sind öffentlich, sodass der aktuelle Verkaufswert des Tapes jederzeit transparent bleibt. Die Blockchain ist gegenüber Manipulationen besonders resistent: Wer einen Coupon verändert, müsste gleichzeitig alle anderen ändern – eine zumindest zum derzeitigen Stand nahezu unmögliche Aufgabe. Ursprünglich für das dezentrale digitale Bezahlsystem Bitcoin entwickelt, hat sich die Blockchain zu einem vielseitigen Instrument entwickelt. Auch für Musiker gibt es eine Vielzahl potentieller Anwendungsmöglichkeiten. Aus Sicht der Befürworter bieten diese die Chance, den Geist der revolutionären Frühphase des Internets wieder heraufzubeschwören – ja vielleicht sogar über dessen kühnste Träume hinauszugehen.

Alleine schon die Möglichkeit, sämtliche Zahlungsmodalitäten über eine Blockchain abzuwickeln, ist verlockend. Dabei werden finanzielle Ströme transparent, rasendschnell, betrugssicher und zu 100% nachvollziehbar. Sobald irgendwo eine Einkunft generiert wird, wird dies in der Blockchain registriert und eine entsprechende Überweisung angeordnet. Die Transaktionen laufen dabei im Sekundentempo ab, statt Tage, Wochen oder Monate zu beanspruchen. Wie so etwas für Musiker in der Praxis aussehen könnte, hat das amerikanische Rolling Stone Magazin in einem ausführlichen Artikel zum Thema anschaulich dargestellt: „Stell dir ein sorgfältig organisiertes Portal vor, das automatisch alle Einkommensströme eines Künstlers aktualisiert – Merchandising, Toureinkünfte, Lizenzeinnahmen, Streaming-Tantieme und Aufführungstantiemen. Genau so etwas existiert derzeit noch nicht, was an den Komplikationen liegt, die sich daraus ergeben, dass so viele verschiedene Parteien Rechte an einem Musikstück besitzen. In fünf Jahren aber könnte es so etwas wirklich geben – oder weniger, wenn wir Blockchain verwenden.“ Auch Vertragsrechte können in der Blockchain abgespeichert und damit abgesichert werden. Geld ist somit nur ein, wenngleich auch ein sehr wichtiger Teil der neuen Musikökonomie. „Es verändert, wie wir Geschäfte abschließen und dabei miteinander umgehen“, so RAC.

Eine Besonderheit besteht darin, dass die Blockchain es Musikern ermöglicht, an einer Zweitverwertung beteiligt zu werden. Ein typisches Szenario: Ein Künstler verkauft Konzert-Tickets für 50 Euro. Innerhalb weniger Minuten sind sie restlos ausverkauft und finden sich nun auf eBay wieder. Dort aber werden sie nunmehr für bis zu 300 Euro angeboten. Das ist eine beachtliche Preissteigerung, von der aber der Künstler nicht profitiert. Blockchain-Technologie macht es nun zum einen möglich, den Maximalwert für eine Karte auf beispielsweise 100 Euro zu begrenzen, um zu verhindern, dass Ticket-Händler den Preis künstlich in die Höhe treiben. Wird nun ein Ticket für mehr als 50 Euro auf dem Zweitmarkt verkauft, kann der Gutschein festlegen, dass der zusätzliche Profit unter allen Parteien aufgeteilt wird. Das heißt: Musiker*innen bleiben an den Einnahmen bis zum Tag des Konzerts beteiligt.

Was aber ist mit der Musik selbst? Auch hier sind faszinierende neue Modelle denkbar. Auf der alternativen Streaming-Plattform Audius sind heute noch alle Tracks kostenlos. Bald aber will man zu Modellen übergehen, bei denen Fans aktiv die Kreationen ihrer Lieblingsmusiker unterstützen, indem sie gezielt nur für ganz bestimmte Streams bezahlen. Die Höhe der Streaming-Kosten sollen dabei von den Musikern persönlich festgelegt werden können. Das klingt zunächst einmal nach einem Rückschritt. Schließlich bestand eine der Errungenschaften der Spotify-Ära für die Endverbraucher*in schließlich gerade darin, für 10 Euro im Monat ohne Einschränkungen auf eine gigantische Musikbibliothek zurückgreifen zu können. Der Witz bei der Sache ist dieser: Rechnet man die Angelegenheit einmal durch, wird schon rasch deutlich, dass es unmöglich ist, diese 10 Euro vollkommen auszunutzen, sogar wenn man 24 Stunden am Tag nur Musik hört. Es ist wie ein „All You can Eat“-Büffet, bei dem das Restaurant immer Gewinn macht. Stattdessen könnte man über Plattformen wie Audius nur noch für die Musik bezahlen, die einem gefällt, dabei trotzdem günstiger davon kommen – und sich dabei außerdem sicher sein, dass das Geld aktiv der Karriere und dem Lebensunterhalt talentierter Produzent*innen und Songwritern zugutekommt. Denkbar ist sogar, die Verwertungsrechte an Kompositionen verhandeln. Der DJ und Produzent Guy J hat hier Pionierarbeit geleistet und die Rechte an einigen Stücken verkauft. Sollte die Musik in der Zukunft ein großer Hit werden, erhalten die Käufer die daraus entstehenden Einnahmen.

NFTs: Die Musik der Zukunft?

Noch sind diese Ideen weitestgehend Zukunftsmusik. Interessant ist, dass es möglicherweise ein augenscheinlich weitaus futuristischerer Markt ist, auf dem Blockchain-Konzepte schon deutlich früher zum Tragen kommen könnten: Sogenannte NFTs bieten spannende Möglichkeiten, außerhalb traditioneller Muster Einkommensquellen zu erschließen. Die Abkürzung steht für „Non Fungible Tokens“, zu juristischem Deutsch, „nicht vertretbare Sachen“. Dabei handelt es sich um rein digitale Produkte, die dennoch limitiert werden können. Aktuell nehmen diese NFTs oftmals die Gestalt von audiovisuellen Kunstwerken an: Speziell programmierten Animationen, die mit Audioloops zu einem kleinen Gesamtkunstwerk verbunden werden. Der Linkin-Park-Songwriter Mike Shinoda beispielsweise bot über die Plattform Zora einen dreißigsekündigen Loop an, der aus einem Groove und einer Animation bestand. Das Stück nannte sich „One Hundreth Stream“ und der höchste Bieter war bereit, dafür $30,000 zu bezahlen. „Sogar, wenn ich die Vollversion des Songs bei digitalen Streaming-Anbietern weltweit hochgeladen hätte, könnte ich damit nicht einmal annähernd $10,000 machen, wenn man die Gebühren für die Anbieter, das Label und das Marketing abzieht“, freut sich Shinoda.

Shinoda hat ganz gezielt – und dies ist eine Besonderheit der NFTs – nicht das Verwertungsrecht an „One Hundreth Stream“ veräußert. Er kann mit der Musik noch immer tun, was er will, beispielsweise einen vollwertigen Song bauen. Er kann sogar Groove und Animation auf eine Streamingplattform hochladen, sodass jeder sie dort sehen kann, und damit Einnahmen generieren. Das mag verwundern – warum sollte jemand den Wert eines Familienwagens für etwas ausgeben, was später die gesamte Welt kostenlos nutzen darf? Doch genau diese banalen Fragen der Reproduktion interessieren Käufer von NFTs genauso wenig wie den Käufer eines van Goghs interessiert, dass in Millionen von Wohnzimmern und Küchen weltweit eine billige Reproduktion desselben Gemäldes an der Wand hängt. Bezahlt werden solche absurd anmutenden Beträge, um eine Künstlerin nachhaltig zu fördern, um eine potentiell gewinnträchtige Anlage zu tätigen oder um damit das eigene Prestige zu steigern. Der letztgenannte Punkt ist hier womöglich sogar entscheidend, denn obwohl NFTs reproduziert werden können, sind nur diejenigen „Exemplare“ original, welche von dem Urheber persönlich freigegeben wurden. Die Gaming-Industrie beweist schon seit Jahren, dass so etwas tatsächlich funktionieren kann: Mit dem Verkauf von In-Game-Produkten, die keinerlei Existenz außerhalb eines Spiels haben. Virtuelle Kleidungsstücke oder ein Stück virtuelles Land generieren dabei im Extremfall mehrere Hunderttausend Dollar.

NFTs könnten für Musik wieder den Begriff der Knappheit zurückerobern. Zwischen 1960 und 2000, der Hochphase der Plattenproduktion, basierte das Geschäftsmodell gerade auf der massenhaften Reproduzierbarkeit von Singles und Alben. Dass Musik wie ein Gemälde gehandelt werden könnte, war schlicht unvorstellbar. Als Jean-Michel Jarre 1983 von seiner „Music for Supermarkets“ nur ein einziges Exemplar herstellte, wirkte das so fremd, dass der Master für gerade einmal 10.000 Euro ersteigert wurde. Heute freilich erscheint das Konzept weitaus zeitgemäßer. Der Wu-Tang-Clan wiederholte Jarres Kunststück mit ihrer LP „Once Upon a Time in Shaolin“ und nahm damit dem Vernehmen nach $2 Millionen ein. Damit kommt die Musik schrittweise der Welt der bildenden Kunst näher, mit ihren sagenhaften Umsätzen und astronomischen Verkaufspreisen. Auf dem Papier klingt das nach einer Errungenschaft nach so vielen Jahren, in denen der monetäre Wert von Musik sich auf einer Talfahrt zu befinden schien.

Aber ist es das wirklich? Von den Exzessen der Kunst-Szene profitieren nur sehr wenige, eher selten gehören die Künstler und praktisch niemals das kaufende Publikum, das keinen Hauch einer Chance hat, die Werke, die in den Museen ausgestellt werden, jemals ihr Eigen nennen zu dürfen. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass sich die Dinge in der Musikindustrie in eine andere, gesündere Richtung entwickeln könnten. Die Massenverwertbarkeit von Musik hat sie zu dem wohl demokratischsten Medium überhaupt gemacht, zu einer Kunstform, an der heute mehr Menschen aktiv und passiv partizipieren als an irgendeinem Punkt unserer Geschichte. Die größten Potentiale der Blockchain liegen darin, diese Demokratie zu erhalten – nicht darin, sie zu vernichten.

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