Mode und Musik gehören zusammen. Daran zweifelt eigentlich keiner. Doch warum eigentlich? In dem Buch „Fashion & Music“ geht Professor Dr. Jochen Strähle genau dieser Frage nach und beleuchtet die Thematik aus jedem nur erdenklichen Blickwinkel. Dabei gelangt er zu einigen spannenden Schlussfolgerungen.
Beat / Was hat die akademische Modeforschung aus deiner Sicht bislang an wahrhaft neuen Erkenntnissen gebracht? Was sind derzeit vielversprechende Forschungsgebiete?
Jochen Strähle / Ich würde sagen, es handelt sich um drei zentrale Gebiete: Erstens die Technologien zur Herstellung von Textilien. Zweitens die Gestaltung, also das Design. Und drittens die Vermarktung, den Handel, also von der Herstellung bis zum Endverbraucher. Hier gibt es natürlich eine große Überschneidung zur Musikindustrie. Denn auch hier sind es die Technologien in der Herstellung des Produktes und der sich verändernde Konsum, welche ein tiefer gehendes Verständnis des Geschäftsmodells notwendig machen. Genau an diesen Aspekten arbeiten wir.
Beat / Ein Punkt, der in „Fashion & Music“ immer wieder beleuchtet wird, ist die Beziehung zwischen Musik und Mode. Warum ist genau diese Beziehung so eng – enger beispielsweise zwischen Film und Fashion?
Jochen Strähle / Mode und Musik sind beide Ausdruck des Selbstverständnisses. Der wesentliche Unterschied besteht in der Tatsache, dass Mode von außen sichtbar ist, der Musikkonsum hingegen auch über Kopfhörer durchgeführt werden kann. Will sagen, Musik ist deutlich persönlicher und privater. In der Kombination ermöglicht aber sowohl Musik- als auch Modekonsum das Auffinden von Gleichgesinnten, zum Beispiel auf einem Festival. Der Mensch als soziales Wesen ist immer auf der Suche nach Gruppen und einer Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Mode funktioniert immer nur dann, wenn sie von mehreren Personen geteilt wird. Dann wird sie identifizierbar. Musikstile entwickeln sich auch nur dann, wenn mehrere Künstler in einer ähnlichen Art und Weise musizieren. Alles andere ist und bleibt Avantgarde.
Beat / Kylie Minogue wird in dem Buch damit zitiert, dass Musik und Mode untrennbar verbundene Ausdrucksformen sind. Was wird da konkret ausgedrückt?
Jochen Strähle / In der Wissenschaft gibt es die Idee des so genannten „extended self“- eine Art Projektion meiner Wunschidentität. Wenn wir uns wie ein Held anziehen, sehen wir uns in der Rolle des Superman. Wir nehmen Persönlichkeitsmerkmale auf und fühlen uns ebenfalls stark und unverwundbar. Gleiches gilt bei dem Kauf von Marken im Modebereich. Wenn ich den typischen Bekleidungsstilen erfolgreicher Hip-Hop Stars imitiere, nehme ich mich selbst als erfolgreich war.
Beat / Warum zahlen Musikhörer dann keine $1,50 für Drake's „Hotline Bling“, aber sehr wohl $1150 für die rote Jacke, die er im Video dazu trägt?
Jochen Strähle / Es gibt in der Tat ein großes Problem bei der Zahlungsbereitschaft. Das Problem ist: Mein Modestil ist von außen für jeden sichtbar, mein Musikkonsum hingegen nicht. Das Risiko viel Geld für eine Jacke auszugeben ist groß, daher wird hier auf Influencer oder Stars vertraut. Das Risiko falsche Musik zu hören ist dagegen gering. Man wird nicht öffentlich der Lächerlichkeit preisgeben. Und auch eine Fehlinvestition gibt es über Streaming quasi gar nicht mehr.
Das nächste Problem ist die mangelnde Qualitätskontrolle: Es ist ja schon absurd, dass man sich im Studio unendlich Gedanken über bestimmte Frequenzbereiche macht, die dann nachher über Streaming und schlechte Kopfhörer sowieso nicht mehr zu hören sind. An dieser Stelle ist die die Musikbranche eine der wenigen, die Technologien dazu benutzt hat die Qualität zu verschlechtern. Aber da unsere Gesellschaft vor allem auf Äußerlichkeiten ausgerichtet ist, ist diese Bereitschaft für entsprechende Markenbekleidung grundsätzlich natürlich höher.
Kontakt zur Zielgruppe
Beat / Als eines der erfolgreichsten Beispiele einer gelungenen Kollaboration nennst du im Buch Kanye West, der sowohl mit Nike und Adidas gearbeitet hat. Wird da wirklich ein mutiges Fashion-Statement gemacht, dient West nur als gut vernetztes Schuh-Model oder entsteht aus der Kombination zwischen einer Fashion-Marke und einer „Human Brand“ tatsächlich etwas Neues?
Jochen Strähle / Es spielen zahlreiche Faktoren zusammen. Richtig ist aber auf jeden Fall, dass ein bekannter Künstler auf jeden Fall einen engen Kontakt zu seiner Zielgruppe hat. Bei dieser genießt er hohe Glaubwürdigkeit. Man könnte sogar sagen: Der Kontakt zu ihren Fans ist die Qualifikation der Musiker. Damit allein können sich die Produkte gegenüber anderen am Markt befindlichen Marken einfacher durchsetzen. Darüber hinaus entsteht durch die Zusammenarbeit kreativer Köpfe aus unterschiedlichen Bereichen immer etwas Neues.
Beat / Beispiel Kanye West: Welche Rolle nehmen die Musiker bei diesen Kollaborationen wirklich ein?
Jochen Strähle / Sie sind auf jeden Fall keine klassischen Designer mit einer entsprechenden Ausbildung. Aber Sie haben ein Gespür für den Zeitgeist, ihre Zielgruppe und was sie selbst gerne tragen. Hier haben sie ja auch eine gewisse Vorbildfunktion und genau diese direkte Form des Gefallens oder Nichtgefallens führt oft zu spannenden Produkten, die nicht durch pseudokompetente Gremien in den Modefirmen verwässert werden.
Beat / Zusammenarbeiten zwischen Modefirmen und Musikern funktionieren nicht immer. Was macht eine gute Kombination aus Mode und Musiker aus?
Jochen Strähle / Die Passgenauigkeit zur Zielgruppe ist das wesentliche Element. Jede Marke hat eine gewisse Persönlichkeit. Diese Markenpersönlichkeit muss zwingend mit der Persönlichkeit des Musikers zusammenpassen. Hier haben wir auch schon verschiedene Untersuchungen durchgeführt. In dem Moment, in dem es Spannungen gibt, wird kein Erfolg möglich sein. Daneben ist Vertrauen zwischen den Beteiligten absolut notwendig. Die einen sind gut in der Kommunikation, im Austausch mit den Kunden die anderen in der Herstellung eines Produktes. Erst wenn Vertrauen in die Kompetenz des anderen herrscht, kann dies zum Erfolg führen.
Beat / Das Kapitel Grunge und die damit verbundene Anti-Fashion-Bewegung ist eines der Highlights aus dem Buch. Wie verläuft aus deiner Sicht ein solches Phänomen?
Jochen Strähle / Es gibt immer unterschiedliche Bewegungen. Es gibt Trends, die von unten nach oben gehen, sich seitwärts entwickeln oder die von oben nach unten diffundieren. Egal wo der Ursprungspunkt war, letztlich stellt sich immer die Frage nach der Anzahl derjenigen, die etwas kopieren und nachahmen. Hier braucht es eine kritische Masse. Dies gilt für die Mode wie für die Musik. Das Thema Grunge war sicherlich eines der letzten großen Ereignisse der Musikszene, das gänzlich aus einer Subkultur erwachsen ist und das sich international zu einem Bekleidungsstil etabliert hat.
Die Leitbilder fehlen
Beat / Warum gibt es, zumindest scheinbar, außerhalb vom Hip-Hop heute praktisch keine ernsthaften Fashionstatements mehr?
Jochen Strähle / Meiner Meinung nach liegt dies vor allem daran, dass Streaming die Hörgewohnheiten nachhaltig verändert hat. Konsumenten folgen Playlists anstatt von Künstlern, sie hören Songs anstatt ganzer Alben, es geht um Verfügbarkeit anstelle von Besitz und es gibt keine Leitmedien à la MTV mehr, die ein fixes Bild vorgeben. Der Modebranche fehlt damit sozusagen ein klarer Nährboden für einen klar ersichtlichen (sozialen) Trend. Gleiches gilt aber auch für die Musikszene. Die kontinuierliche Verfügbarkeit jeder Musik führt nicht unbedingt zur Schärfung von Musiktrends.
Beat / Wie siehst du die weitere gemeinsame Entwicklung der beiden Branchen?
Jochen Strähle / Für mich muss zunächst einmal das Verständnis erwachsen, dass die beiden Branchen jeweils die andere Seite der Medaille sind. Über Jahre hinweg haben wir auch in der Ausbildung keine Bezugspunkte zwischen diesen beiden Industrien gesetzt. Ich glaube, dass sich Künstler viel stärker mit der Vermarktung ihrer Darstellung beschäftigen müssen. Ich glaube aber auch, dass sich Modefirmen viel intensiver mit dem Musikkonsum ihrer Konsumenten beschäftigen sollten. Die Modefirmen sind sich der Kraft der Musik wahrscheinlich gar nicht richtig bewusst. Hier versuche ich auch, mit meiner Forschung die Lücken etwas zu schließen.
Beat / Mode und Musik sind von starken Pendelbewegungen geprägt. Was ist deine Prognose, in welche Richtung es in beiden gehen wird?
Jochen Strähle / Musik war ja auch immer Ausdruck sozialer und politischer Entwicklungen. Ich denke, es sollte allen klar sein, dass wir nur einen einzigen Planeten haben, und wir alles tun sollten, diese nicht zu zerstören. Gegenseitiger Respekt, Einfühlungsvermögen und nachhaltiger Konsum werden zwingend notwendig sein, um die Herausforderung zu meistern. Ich glaube, dass Musik hier zukünftig wieder eine viel stärkere Rolle spielen wird, als in den letzten 15 Jahren.