Nach langen Jahren der Selbstfindung ist Johanna Knutsson nun eine Klasse für sich – sowohl als DJ als auch als Produzentin. Tobias Fischer sprach mit der schwedischen Wahl-Berlinerin über Heimorgeln, ihre Zeit als „nervende Tänzerin“ und darüber, wie wir alle auf dem Dancefloor zu Freunden werden können.
Beat / Du hast gerade eine Residency im Berliner about:blank. Erzähl doch ein wenig davon.
Johanna Knutsson / Stimmt, ich spiele dort an den Oscillate-Abenden immer das Abschluss-Set. Ich liebe es! Sie buchen mich dort meistens für den Techno-Floor zwischen 6 und 11 Uhr morgens. Mein Set besteht meistens aus tanzbarem, melodisch-groovigem Space-Techno. Das bringt die Leute näher zusammen, auf dem Dancefloor werden alle zu Freunden. Ich versuche, mit neuen Sounds zu arbeiten: seltsame Schlagzeugmuster, fremdartige Synthie-Sounds und abgefahrene Urwald-Klänge … Etwas, dass dich aufhorchen lässt und dir Bilder in deinen Kopf projiziert.
Beat / Wie bereitest du dich darauf vor?
Johanna Knutsson / Wenn ich auflege, stehe ich morgens früh auf und ziehe erst gar nicht meinen Pyjama aus. Schnell zwei Tassen Kaffee und dann spiele ich den ganzen Tag Platten – bis auf ein paar kurze Pausen um etwas zu essen oder digitale Tracks ein zu kaufen. Ich finde immer mindestens drei Stücke, die sich als Opener eignen. Und dann habe ich noch Pakete mit „ruhigeren“, „mittleren“ und „intensiven“ Platten, sodass ich weiß, wo ich im Bedarfsfall nachschauen kann.
Beat / Ansonsten ist alles offen?
Johanna Knutsson / Ja, es sei denn, es gibt einen besonderen Anlass. Wie zum Beispiel, wenn ich nur ein 45-minütiges Festival-Set spiele. Ich plane nichts im Voraus, ich lege mir nur alles zurecht. Dann mache ich ein Nickerchen. Am Club komme ich so zwei Stunden vor Anfang meines Sets an.
Beat / Kann man sagen: In Berlin hast du dich als DJ gefunden?
Johanna Knutsson / Ich kann inzwischen über mein erstes Jahr in Berlin lachen. Ich bin jedes Wochenende clubben gegangen. Aber es ging mir gar nicht so sehr darum zu tanzen, sondern ich wollte herausfinden, was genau die DJs hinter ihren Decks machten. Ich war eine von diesen nervenden Gästen, die in der Panoramabar immer zehn Stunden vor der Kanzel herumgetanzt sind und den DJs auf die Hände und auf den Mixer geschaut haben.
Beat / Ich nehme an, du hattest entsprechend einige Vorbilder?
Johanna Knutsson / In dieser Phase, das war so 2007/2008, war ich sehr von Tama Sumo, Virginia, Cassy und Dinky inspiriert. Ich habe nie ein Set oder Mixtape von ihnen verpasst. Ich habe sogar zu Anfang vor allem House aufgelegt – weil sie das auch getan haben.
Beat / Wie hat sich dein eigener Stil herauskristallisiert?
Johanna Knutsson / Es war ein allmählicher Prozess, der sich in den letzten sechs bis sieben Jahren vollzogen hat. Es interessiert mich inzwischen nicht mehr, nur einen einzigen Sound zu kultivieren. Vielmehr werde ich davon getrieben, anregende Rhythmen und ungewöhnliche Klänge zu erforschen und dann alles zusammenzuführen. Ich vertraue zunehmend meinem Bauchgefühl. Ich versuche nicht mehr verzweifelt heraus zu finden, was jeder einzelne Tänzer sich wünscht. Zu Anfang hat es mir noch das Herz gebrochen, wenn jemand während meines Sets den Dancefloor verlassen hat! Heute konzentriere ich mich lieber auf die Gäste, die mir in meinem Set zu folgen bereit sind.
Einzelgängerin
Beat / Woher kommt dieses Interesse an so vielen verschiedenen Stilen?
Johanna Knutsson / Das war bereits ein Teil meiner Kindheit. Und ich war nicht nur an Musik interessiert, sondern habe auch viel gelesen. So war ich als Kind eine ziemliche Einzelgängerin. Ich habe meine Eltern mit 16 verlassen um mich selbst zu finden und die schiere Flut an verschiedenen Stilrichtungen da draußen hat mich vollkommen erschlagen. Ich habe zehn Jahre gebraucht, um „meine“ Musik zu entdecken.
Beat / Wo bist du aufgewachsen?
Johanna Knutsson / In einem kleinen Dorf im Süden Schwedens. Die einzige Chance, wie ich mich dort ausdrücken konnte, war der Kirchenchor. Bei dem Kantor habe ich dann auch gleich das Klavierspielen gelernt. Die Möglichkeiten waren also sehr eingeschränkt. Wir hatten aber zu Hause eine elektrische Orgel. Die habe ich geliebt! Sobald ich mir ein großes Haus kaufe, hole ich mir genau dasselbe Modell noch einmal.
Beat / Dieser Background erklärt auch, dass dein großartiges Solo-Album „Tollarp Transmission“ so „musikalisch“ ausgefallen ist und so gar nicht nach Dancefloor klingt.
Johanna Knutsson / Sicher. Ich hatte auch den großen Vorteil, dass ich viele Jahre mit dem Produzenten Hans Berg arbeiten durfte. Dadurch habe ich unglaublich viel gelernt. Vor anderthalb Jahren habe ich mir ein eigenes Studio gegönnt und er war immer für mich da, wenn etwas nicht funktioniert hat. Ich musste mir keine todlangweiligen Youtube-Tutorials reinziehen, sondern konnte ihn immer direkt fragen. Meine Beharrlichkeit hat sich ausgezahlt: Zu Anfang hatte ich keine Ahnung, was ich da mache. Aber ich bin weiter jeden Tag ins Studio gekommen.
Beat / Lass uns ein wenig über die Technik hinter deinen DJ-Sets reden. Was ist dir wichtig?
Johanna Knutsson / Eine Sache, die mir am Herzen lag, war ein vernünftiges Mischpult. Sobald ich es mir leisten konnte, habe ich in ein Allen&Heath investiert. Ich habe den Sound des Pioneer 800 DJM gehasst. Ich liebe es, Musik zu schichten und externe Effekte zu verwenden. Und dafür eignet sich der Allen&Heath aus meiner Sicht besser. Eine Zeit lang habe ich mein RE-20 Space Echo mit zu seinen Shows genommen. Inzwischen verwende ich es eher zu Hause, wenn ich Mixe aufnehme. Vor kurzem habe ich ein Feature über meine Kollegin Avalon Emerson und ihren DJ-Stil gesehen. Das hat mich inspiriert, vielleicht doch bald wieder mein eigenes Equipment mit in die Kanzel zu nehmen.
Beat / Du bist sehr aktiv an den Decks. Zugleich scheinst du keine radikalen Eingriffe in die Musik vorzunehmen.
Johanna Knutsson / Nein, der Einsatz von weißem Rauschen oder aggressives Manipulieren der Filter und EQs ist nichts für mich. Wenn der Track nicht für sich stehen kann, warum legt man ihn dann überhaupt auf? Unterschiedliche Musik kann unterschiedliche Funktionen erfüllen. Nur weil ein Stück sich immer wiederholt, muss es doch nicht langweilig sein. Es kann genau so gut eine Brücke zwischen zwei Stücken mit einer dichteren Struktur schlagen. Als DJ mag ich es einfach: Ich versuche die Musik, so wie sie ist, in den Vordergrund zu stellen – statt sie zu etwas zu verbiegen, was sie nicht ist.
Beat / Durch die Abfolge der Tracks in einem Set findet ja ohnehin schon eine musikalische Transformation statt.
Johanna Knutsson / Manchmal kommt es vor, dass ich einen Track in einem Set höre und begeistert bin. Dann stelle ich fest, dass ich ihn schon seit Jahren in meiner Sammlung habe - nur ist er mir da nie aufgefallen. Das ist doch magisch! Bei den besten DJs, die ich miterlebt habe, ging es nie so sehr um sie selbst, sondern um ihre Arbeit, die Musik und den Dancefloor. Manche meinen, es sei langweilig, sich so ein Set anzuschauen. Ich finde es eher langweilig, wenn sich jemand total verstellt, damit es auf Instagram so aussieht, als amüsiere er sich köstlich.
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