Ihr Fleiß ist bald legendär. Die Tuff City Kids aka Phillip Lauer und Gerd Janson legten in sieben-acht Jahren gut 80 Remixe vor. Techno, House oder BreakBeat / , jedem Einzelnen drückten sie ihren Stempel auf, der dann doch keiner ist. Doch irgendwas ist erfolgreich ‚typisch’ an ihrem Sound. Das beweist auch ihr im Herbst 2016 erschienenes Debüt-Album „Adoldesscent“. Wo in der Überfülle der Kern sitzt, wie es ist, sich selber auf Shazam zu suchen, und was die extreme Produktivität ankurbelt, erfuhr Beat / bei der Studio-Visite.
Als der Name Tuff City Kids (TCK) vor einigen Jahren in den Remix-Credits einer Sonar Kollektiv-12-Inch erschien, schmunzelte ich noch, ob des Artist-Namens. Die ‚tuffen’, also harten Jungs aus der Großstadt? Die im südhessischen Lorsch (an der malerischen Bergstraße) und im grünen Umland Frankfurts (zwischen Fachwerk und Dorfleben) hausen? Heute sind ihre Vita und ihr numerischer Eifer definitiv ‚tuff’. Damals fragte das erwähnte Berliner Kollektiv (Umfeld von Jazzanova wie Dixon) Gerd Janson um einen Remix an. Der war Resident im europaweit verehrten Offenbacher „Robert Johnson“ (RJ), ein Ausnahme-DJ, der heute im 2016er-Groove-Leserpoll direkt nach Sven Väth Platz zwei der beliebtesten nationalen DJs einnimmt. Was damals keiner ahnte. Auch nicht, was in der Folge aus Tuff City Kids würde. Klar war nur: Gerd konnte alleine nicht remixen.
Phillip Lauer kannte Gerd über das RJ-Umfeld. Er sprach ihn auf den Auftrag an, die Sache lief beim gemeinsamen Studio-Gang gut von der Hand. Dem Remix fehlte nur der Projektname, den fanden sie in Form eines Graffiti-Schriftzugs auf einer Club-Toilette. Von der Edding-Kritzelei zum nachhaltigen Produzenten-Projekt war der Weg nicht einmal im Kopf vorgezeichnet. Heute haben die beiden eine höchst üppige Diskografie an Remixen, für unterschiedlichste Acts – von Sven Väth zu Alter Ego sind Techno-Schwergewichte dabei, von Jovonn zu Freaks schrieben sie mit ihren Interpretationen die House-Historie artgerecht weiter, sie geben aber ebenso Indie-Bands, BreakBeat / -Techno von Scuba oder Fusion-Jazz-Legende Herb Alpert einen neuen Schliff. Einen, der immer so klingt, als höre man ‚ein Original von damals’ oder etwas, das spielerisch und geschmackssicher mit großen Sound-Vorbildern umgeht, sie auf den Tanzflächen wirkmächtig erinnert.
Wieso das Remixing bei ihnen so schnell geht? Dazu haben sie höchst unterschiedliche Sichtweisen. Lauer klingt fast lapidar: „Ich bin routiniert geworden über bald 15 Jahre Produktion. So einfach … ich sammle Spuren und zieh es dann hoch.“ – Janson räumt schelmisch ein: „Ohne Phillipp hätte ich nicht angefangen zu produzieren, und dass wir als TCK weitergemacht haben, war erst nicht geplant“. Vielleicht ist das ja ihr Geheimnis – dass keiner muss?!? Immer klar ist hingegen, wo der Weg vom Auftrag zum Remix lang führt, oder wie Janson sagt: „Wir besprechen, was wir machen, und machen das dann.“ Aha!? Was für manchen spröde nach Baukasten klingt, ist nach Jahren Produktion und DJing von True-school-Techno und House gelebte Realität. Im Westen belächeln viele ‚arranged marriages’, bei dieser anfänglichen ‚Zweckehe’ war wohl die Vorsehung im Spiel. Der Aspekt, das Besprochene umzusetzen, ist Erfolgsgarant. Großes Abschweifen gibt es nicht. Oder wie Janson witzelt „wir lassen den Fisch nie vom Haken.“
Beat / Wie kommt es, dass ihr euch, anscheinend immer schnell einigt, wo ein Remix hinführt?“
Gerd Janson / Wir haben oder lassen eigentlich nie Skizzen rumliegen, und wenn, dann nervt es uns. Und wir haben zum Glück noch nie gejammt. Wir besprechen eine Idee, verfolgen sie. Philipp liest übrigens auch Bücher fertig, die keiner, den ich kenne, fertig gelesen hat.
Phillipp Lauer / Ich finde die Arbeitsteilung super. Frage ich: ‚Was kommt jetzt im Arrangement’? – Gerd sagt’s mir sofort. Da bin ich froh, dass er mir das abnimmt.
Beat / So eine Basis-Demokratie fordert, dass Egos außen vor bleiben, wie macht ihr das?
Gerd Janson / Bei uns weiß jeder, was er am Besten kann. Ich hab mittlerweile auch im Keller viele Synthies und Geräte und kann dort arrangieren, wir arbeiten die Dinge aber in Philipps Studio voll aus. Und ich kaufe einfach keine Geräte, die Lauer nicht anfasst. Ich hab beispielsweise noch nie Moog gekauft. (Der in Klavier-Stunden geschulte Lauer mag auch keine Moog-Geräte. Macht nichts, es sind genügend andere Geräte da, Red.).
Beat / Wie behält man bei so viel Aufträgen von anderen und ihren Sounds den Überblick?
Philip Lauer / Haha, gar nicht. Wir haben auch schon im Club gestanden, während andere DJs einen TCK-Remix spielten, und waren begeistert dabei, uns zu fragen ‚Was war das noch, kenne ich irgendwie’. Gerd hat uns dann selber gefunden, nachdem er den Track mit Shazam gesucht hat.
Was lustig klingt, ist – wenn so passiert – ein Luxusproblem ob der Menge an Remixen. Auch die Menge an Gigs – speziell in Jansons Falle – ist ‚tuff’. Um die 130 Gigs hat er in 2016 gespielt, oder wie Lauer bemerkt: „Keiner spielt so viel wie du als du!“
Im Studio, sagte Janson anfänglich in Interviews, sei er fürs Kaffeekochen und Handy-Business zuständig. Das intoniert er nicht ohne fehlende Süffisanz. Sprich, die Wahrheit liegt in der Mitte, und so wäre ohne seine Skills, seine Expertise als DJ und auch Connections nicht so viel drin gewesen. Wer diese ‚kids’ kennt, weiß, dass gerade die Kreativität auch seinem ungemeinen Gespür geschuldet ist, und zwei Hälften immer nur zusammen ein großes Ganzes ergeben … auch ohne Janson kommt Lauer nebenbei seit Jahren europaweit bis weltweit herum mit seiner Musik. Zu zweit sind sie eben hyperproduktiv.
Als TCK steigt die Nachfrage gemeinsamer Gigs seit dem Album. „Adoldesscent“, erschien auf dem eingesessenen Label „Permanent Vacation“, bei dem Lauer 2015 bereits ein Album vorlegte. „Adoldesscent“ ist ein betont buntes Album, das der Idee folgt, alle elektronischen Stile durchzudeklinieren. Kein Wunder, bei ihren Vitas.
Janson hat das DJ-Ding im Griff, betreibt das geachtete Vinyl- und Digital-Label „Running Back“ (das Tracks von Radioslave, Konstantin Sibold, Todd Terje, Roman Flügel und weiteren heißen Namen releast). Er wirkte hinter den Kulissen so mancher „Red Bull Music Academy“, schreibt seit Ewigkeiten als Chronisten-Geist für das „Groove“-Magazin und nimmt es mit sozio-musikologischer Historie mehr als Ernst. Lauer betreute lange Zeit Vinyl-Distribution beim einstigen „Intergroove“, betrieb eigene Labels („Brontosaurus“) und hat ein Studio, das zwischen Hardware-Kult-Museum und äußerlich kreativem Chaos vermittelt. Im vorderen der zwei Studio-Räume lunzen zwischen Dutzenden alter Kartonagen andernorts mit Pinseln gepflegte Synthie-Preziosen hervor. Hier liegt und versteckt sich, was gerade nicht genutzt wird. Unprätentiös ist der Umgang mit den „Kisten“. Aber nie ohne fixe Absichten – was genutzt wird, steht frei. Und es steht so ziemlich alles in Lauers Reich, sei es die Armada an klassischen Drum Maschinen, Synthies und digitalen Klangerzeugern aus allen Epochen oder FX-Geräte.
Beat / Welche Lieblingsgeräte hören wir auf euren Produktionen häufig?
Philipp Lauer / Also Lieblingsgeräte sind unter anderem Synthies wie der Oberheim Matrix 1000, der Kurzweil K2000R. Ich bin aber, was Klangerzeugung angeht, auch ein Preset-Fan.
Beat / Echt? Ich hab die ganze Zeit euren typischen und dann doch nie gleichen Sound in einer sehr analogen Arbeitsweise verortet. Ich dachte, das sei quasi der rote Faden, weil alles immer so tradiert klingt.
Philipp Lauer / Nö, Fehlanzeige. Wir arrangieren im Computer nur mit Cubase, daneben ist alles erlaubt. Ich stehe genau so auf Freeware Plug-ins – wie zum Beispiel das TAL Echo und TAL Reverb, die ich beide heiß empfehle. Und ich mag diese Preset-Kisten aus vergangenen Zeiten, die sind vielleicht ein Indiz, warum man denken könnte, ‚geile alte Sounds aus analogen Maschinen’. Die Preset-Sounds geben mir gute Grund-Sounds, die ich neu spiele. Die Yamaha DX100 ist so einer meiner Faves! Daneben würde ich noch das Roland Space Echo nennen, mit dem wir gern die Enden der Tracks effektvoll ausdubben. Ah, oder der Robokop Acidlab zum Triggern des Boss DR.
Beat / Viele Fans, DJs und Produzenten schätzen nicht zuletzt das, was man als typische ‚Lauer-Bassline’ bezeichnet. Womit generierst du den Bass-Groove?
Philipp Lauer / Ich mache zum Beispiel ganz gerne mit dem Korg M1 Bässe, neben Synthie-Sounds. Wir nutzen aber auch gerne das klasse Lately Bass-Patch des Yamaha TX 81Z. Da findest du immer was.
Beat / Seht ihr denn selber so etwas wie ‚typischen’ TCK-Sound?
Philipp Lauer / Eher nein, dazu gehen wir jedes Mal zu verschieden ans Werk ran und im Falle von Remixen ist das Ausgangsmaterial teils ganz weit entfernt voneinander. Im Falle des Albums hört der ein oder andere vielleicht den roten Faden, den unser Studio-Sound ergibt, oder eine Prise 80s-Pop, denn ich mag von damals einfach die guten Produktionen. Und wir haben beide eine leichte Retro-Vorliebe (lacht). Aber auch beim Album ging es prinzipiell darum, alle Einflüsse zuzulassen.
Gerd Janson / Und für das anstehende Remix-Album im Frühjahr legen wir die Messlatte in Sachen Vielfalt noch höher, das wird ein großes Ding (grinst).
Gemessen daran, dass bereits für die ersten Album-Auskopplungen Morgen Geist von Metro Area Hand anlegte, Hot Chips Joe Goddard beim Album kollaborierte, oder die Sängerin Annie (ihr Greatest Hit war um 2000 ein großer Konsens-Club-Song), darf man sich auf Weiteres freuen, das im Reich der Remixe für die derzeit fleißigsten Remixer entsteht.
Ob Janson 2017 den DJ-Poll knackt und ‚Babba’ Väth überholt, und ob sich TCK daran gewöhnen, dass junge Techno-Kids eben gleich auf welchen Sound „shufflen“ (ein Tanzstil, über den Janson sagt: „Die sehen das als Sport.“)? Die Zeit wird es zeigen. Vielleicht hören wir von den tuffen Sound-Fetischisten ja auch mal etwas samt einer der Standard-Waffen heute typisierter An-Aus-Arrangements. „Wir können doch auch mal filtern, Gerd, das ham wir noch nie gemacht,“ lacht Lauer auf und kassiert pfeilschnell Jansons Urteil: „Echt, das gibt doch nur wieder Phasenverschiebungen.“ Okay, sie lassen es, sind aber trotzdem guter Dinge, dass auch der während unseres Interviews entstehende Remix für den Frankfurter Künstler Einzelkind noch an diesem Tag fertig wird … Arbeitsteilung und konsequente Kommunikation – der Fisch bleibt am Haken!
Dieser Artikel ist in unserer Heft-Ausgabe 136 erschienen.
2016 | Adoldesscent
2016 | Lafayette
2016 | Rocker / Gate 23
2015 | Underground
2014 | Dinky / Xanex
2012 | 12“s / Remixes