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Interview: Scooter - Die Rave Teachers

Mit über 30 Millionen verkauften Tonträgern in über 25 Jahren gehören Scooter zu den erfolgreichsten deutschen Acts. Und auch beim nunmehr 20. Studioalbum „God Save The Rave“ hat man nicht das Gefühl, dass dem Trio um H.P. Baxxter die Puste ausgeht, denn die in Kooperation mit Harris & Ford, Dimitri Vegas & Like Mike, Finch Asozial und Xillions entstandene Scheibe zeigt Scooter in Höchstform: tanzbar, vielseitig, auf der Höhe der Zeit und jeder Song ein Hit. Entsprechend gut gelaunt waren die beiden Studiotüftler der Band, Sebastian Schilde und Michael Simon, die sich bei uns zu einem heiteren Technik-Talk einfanden, in dem sich die Bälle nur so hin und her spielten.

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Beat / Der Titel „FCK 2020“ lässt schon erahnen, wie eure Stimmung angesichts der Pandemie ist, oder?

Sebastian / Ja, es nervt extrem. Sei es der Lockdown oder das Zwischenmenschliche. Ich bin ein sehr familiärer Typ, dem insbesondere Umarmungen und Knutschi-Knutschi sehr fehlen. Auch solche Kleinigkeiten, wie mal mit Freunden zusammenzusitzen und Kaffee zu trinken.

Michael / Und das gepaart mit all den Sorgen. Wir haben seit über einem Jahr Einkommensverluste und wir Musiker werden fast nirgendwo mehr erwähnt. Im Gegenteil, es heißt, wir seien nicht systemrelevant. Aber was hätten die Leute denn ein Jahr ohne Musik gemacht? So ganz ohne Radio ...

Sebastian / Das Schöne ist natürlich, dass wir mehr Zeit im Studio hatten und nicht ständig von Shows am Wochenende rausgerissen wurden. Aber es fehlt auch an Inspirationen, denn die Auftritte geben uns immer viel Input. Letzten Endes machen wir ja Tanzmusik und seit einem Jahr tanzt niemand mehr.

Michael / Zumindest war mal wieder Zeit, ausgiebig neue Plug-ins zu testen, was man sonst während des Produktionsprozesses eher nicht macht.

Beat / Welche Plug-ins haben euch besonders begeistert?

Sebastian / Wir haben uns eine Weile sehr auf Kontakt fokussiert und unzählige Libraries ausprobiert. Vor allem orchestrale Sachen ...

Michael / Es wurde ja auch wirklich viel im Sale rausgehauen. Da konnte man entspannt alles einkaufen [lacht].

Sebastian / Man hat so seine Standards, die man immer benutzt. Ob Fabfilter, Sachen von Izotope oder Synth-Plug-ins wie Serum, Sylenth oder Spire. Aber hin und wieder guckt dann doch mal was Neues um die Ecke.

Michael / Ich habe mir gerade ein Tool namens Elevate gekauft, einen ultrafetten Limiter. Da kommt man schnell ins Probieren. Aber es inspiriert eben auch, wenn man sich neue Libraries durchhört.

Sebastian / Als wir auf dem Kontakt-Trip waren und uns die ganzen orchestralen Instrumente durchgehört haben, musste plötzlich doch noch ein sinfonisches Intro her und weitere Parts in diverse Songs eingebaut werden [lacht].

Beat / Im Booklet wird betont: „This is a digital recording“. Seid ihr da dogmatisch?

Michael / Das ist ein Running Gag von H.P., aber es hat keine wirkliche Bedeutung [lacht].

Sebastian / Wir haben durchaus eine Reihe analoger Geräte im Studio, insbesondere Synthesizer. Sei es ein Juno oder ein JP. Aber die nutzen wir kaum noch.

Michael / Dennoch ist das Album sehr organisch, denn es sind zwar Samples, aber diese basieren vielfach auf Originalsounds wie echten Stradivari-Instrumenten, die nur digital transportiert wurden.

Sebastian / H.P. ist das Analoge sehr wichtig. Der Track „Never Stop The Show“ war beispielsweise fertig und alle happy, aber er meinte, er wolle noch etwas Analoges drin haben. Dann mussten wir die Melodie eben noch mal aufnehmen.

Michael / H.P. war beim Tangerine Dream-Konzert und ist völlig ausgerastet angesichts all der Analog-Sounds. In der Garage haben wir ein Lager mit alten Keyboards. Da sind wir dann morgens gucken gegangen und haben in der letzten Ecke unter Spinnenweben und Staub ein paar alte Keyboards herausgezogen, die natürlich völlig kaputt und versifft waren. Wir ließen sie von einem Fachmann reparieren, der mich dann am nächsten Tag anrief und meinte, die Teile seien locker 10.000 Euro wert.

Sebastian / Wenn man die Dinger dann hier stehen hat, will man sie natürlich auch einbinden – alleine wegen des analogen Vibes. Allerdings muss man die Sounds schon stark bearbeiten und komprimieren, damit sie in der heutigen Dance Music funktionieren, weil die Power fehlt. Während der JP früher alles weggeballert hat, ist er heute nur noch eine von vielen Layers.

Beat / Gibt es Synthesizer, die den Sound von Scooter über die Jahre geprägt haben?

Michael / Serum und Sylenth sind eigentlich immer drin.

Sebastian / Wir nutzen aber auch viele interne Tools von Ableton, z. B. reicht der interne EQ für viele Sachen vollkommen aus. Hinzu kommen Plug-ins von Izotope, Soundtoys oder Universal Audio, von denen auch unsere Interfaces sind.

Beat / Nutzt ihr neben Ableton Live noch weitere DAWs?

Sebastian / Nee, das ist unser Standard. Ich habe früher angefangen mit FL Studio. Damals hieß es noch Fruity Loops. Da gab es aber nie eine Version für den Mac und dann sagte mal jemand zu mir, „nimm doch einfach Ableton, das ist vom Workflow her ähnlich“.

Michael / Ich bin sehr froh, dass das mal jemand zu dir gesagt hat [lacht]. Das ist das schlimmste Programm überhaupt. Ich kenne keinen Profi, der das benutzt.

Sebastian / Nee, nee. No front. Aber egal, der Schritt war gut, weil Micha auch auf Ableton arbeitet. Dadurch hatten wir keine Probleme, uns Ideen rüberzuschieben. Das Ding ist nur, dass Michas Projekte immer superaufgeräumt sind und wenn er dann von mir ein Projekt bekommt, sieht das aus wie Kraut und Rüben [lacht].

Michael / Dazu muss man wissen, dass unsere Projekte teils bis zu 100 Spuren haben und wenn man da nicht aufräumt, wird man schnell verrückt.

Sebastian / Ich nenne das mein künstlerisches Chaos, denn ich weiß genau, wo alles liegt.

Michael / Ja, weil ich immer alles für dich aufräume, sonst könntest du das gar nicht wissen [lacht]. Ich habe seit Jahren meine Farben, die ich brauche, um zu sehen, was wo im Arrangement liegt. Anders könnte ich das gar nicht.

Beat / H.P.s Vocal-Sound ist sehr charakteristisch. Gibt es Geheimzutaten in seinem Channel Strip?

Sebastian / Seine Effektkette ist wirklich sehr lang. Er hat schon von Natur aus eine sehr markante Stimme. Wenn er anfängt ins Mikrofon zu shouten, ist es roh schon ziemlich fett. Der Channel Strip beginnt mit einem Kompressor von Universal Audio, dann jeder Menge EQs, Saturn Fabfilter usw. Aber das macht es auch aus, denn wichtig ist, dass H.P. immer so ein bisschen peitscht.

Michael / H.P. kennt seine Stimme seit 30 Jahren genau, und wenn das Delay nur minimal falsch ist, merkt er das sofort ...

Sebastian / Ja, das ist echt krass. Er stellt sich ins Studio, setzt sich den Kopfhörer auf, sagt „check, check, one, two, one, two“ und dann „stopp, hier stimmt was nicht“. Dann gucken wir nach und stellen fest, „scheiße, irgendeine Kleinigkeit war doch anders“. Bam, Alter. Sorry [lacht].

Beat / Er braucht also exakt den Albumsound zum Einsingen?

Sebastian / Ja, genau, zumindest Vorkompression, Hall und Delay. Aber das kann ich auch verstehen, denn er braucht diesen Vibe, um in den Loop zu kommen. Ansonsten kann man das Anfeuern und Shouten nicht überzeugend rüberbringen. Er muss das fühlen. Dann knallt es am Ende auch.

Beat / Wie kann man sich eine Scooter-Albumproduktion generell vorstellen?

Michael / Es ist immer verschieden. Früher mit Rick habe ich noch viel bei Youtube gesucht. Damals haben wir noch viel gecovert und haben im Underground immer nach coolen neuen Genres oder Melodien gesucht, die wir adaptieren konnten oder die uns zumindest inspiriert haben. So etwas wie Soundcloud gab es damals noch nicht. Daraus haben wir eine Art Collage zusammengewürfelt. Das führte aber zu einem Punkt, wo wir nicht mehr weiter wussten, denn es gab irgendwann nichts Neues mehr oder der Kram war schon zu bekannt. Mit Phil zusammen basierte es eher auf Songwriting-Camps. Da hatten wir dann Songwriter hier, mit denen wir gearbeitet haben. Heute ist es eher so, dass Basti und ich alleine anfangen mit Demos, die wir uns dann irgendwann vorspielen. „FCK 2020“ war ein Demo, das er mir vor eineinhalb Jahren mal im Flugzeug gezeigt hatte. Ich fand es direkt super, aber H.P. mochte es nicht so. Irgendwann hatte ich ihn so lange genervt, bis wir es dann doch genommen haben.

Sebastian / Ja, es kommt öfter vor, dass jemand eine Idee hat, die die anderen zunächst noch nicht so geil finden. H.P. kommt auch öfter mit Sachen um die Ecke, wo wir sagen, „das kannst du doch so nicht machen“. Aber nach einem halben Jahr kommt man dann plötzlich auf genau diese Idee zurück, weil sie dann doch super passt. Grundsätzlich ist es uns wichtig, ein komplettes Album zu machen, weil Scooter eine große Albumhistorie haben und ein richtiges physisches Album für die Fans viel wert ist. Diesmal war es allerdings so, dass wir erst mal diverse Singles veröffentlicht haben. Der Zeitgeist – vor allem im Electro und Deutsch-Rap – ist ja so, dass man Single für Single released und irgendwann sein Album zusammen hat. Im Grunde ist ein Album dann nichts anderes als eine Playlist bei Spotify. Wir haben diesmal sieben Singles veröffentlicht, sodass schon diverse Fans nachfragten, ob wir denn überhaupt noch ein Album releasen werden. Dann haben wir uns bewusst hingesetzt und versucht, das Album fertigzumachen. Wir wollten aber auch, dass das 20. Album wirklich sitzt. Deswegen hatten wir am Ende über 20 Titel, sodass wir am Ende 15 Titel veröffentlichen konnte, bei denen jeder von uns sagen konnte, der ist geil.

Beat / Allerdings lässt die enorme Liste an Songwritern in den Credits von „God Save The Rave“ vermuten, dass es auch diesmal wieder externer Songwriter gab ...

Sebastian / Es kommt immer drauf an, was wir produzieren. H.P. ist es wichtig, dass ein Song eine starke Hook hat, vor allem wenn es eine Single wird. Micha und ich sind kein klassischer Songwriter, sondern eher Produzenten. Es gibt einfach Leute, die das viel besser können wie Vanessa Schulz, Leonie Burger oder Charlotte Boss. Das sind fantastische Singer/Songwriter und das hilft natürlich, wenn man mit solch talentierten Leuten im Studio sitzt und wir uns unsere Ideen zeigen. Gemeinsam entwickelt man dann ein geileres Stück.

Michael / Ich weiß noch, dass ich bei „Never Stop The Show“ drei Monate rumgeeiert habe, eh mir die Idee kam, zwei Songwriterinnen aus Holland, die ich im Netz gefunden hatte, anzuschreiben. Die haben mir dann innerhalb von eineinhalb Tagen eine Monster-Hook geschrieben. Ohne diesen Input von außen wäre der Song so nicht zustande gekommen.

Sebastian / Es gab auch diverse Kollaborationen mit Leuten wie Finch Asozial, wo wir Input aus einer ganz anderen Ecke bekommen haben. Wenn man dem offen gegenüber steht und dann alles zusammen kommt, kann eigentlich nur etwas Gutes entstehen.

Beat / Habt ihr bewusst versucht, solch eine große Vielfalt in die Musik zu bringen?

Michael / Wir haben uns da keine großen Gedanken gemacht. Es war eher so, dass H.P. zum Beispiel gerade einen Techno-Flash hatte und meinte, wir müssen jetzt mal wieder eine Techno-Nummer machen.

Sebastian / Zu der Zeit waren wir noch viel unterwegs. H.P. ist backstage immer unser DJ, der bei den Warmups für die Musik sorgt. Er spielt dann gerne Techno-Sets und sagt dann schon mal zu uns, „Jungs, hört euch das an. Bumm, bumm. Genau so etwas brauchen wir auch.“ So ist „Which Light Switch Is Which“ entstanden. Der Vers-Part besteht aus einer klassischen rauen 808-Techno-Kick.

Michael / Für „Never Stop The Show“ dagegen war eine Rammstein-Show, die ich mir während des Lockdowns zuhause im Netz angesehen hatte, die Inspiration. Da dachte ich, so eine fette E-Gitarre wäre doch auch mal geil. Danach sah ich ein Hardstyle-Set und so kam die Idee auf, diese Elemente zu verbinden. Dazu hatte dann H.P. schon mal provisorisch einen Vers performt, was er sonst nur bei fertigen Titeln macht.

Sebastian / Dazu kam dann, dass ich in einem Video eine geile Melodie entdeckt hatte, die dort nicht zu Ende gedacht war, sodass wir sie umkomponiert haben, dazu kam ein Cello aus dem Kontakt, weil wir davon gerade angefixt waren, und noch etwas Trap. Alles drin. Fertig war eine echt geile Nummer. Wichtig ist bei Scooter, dass man diesen Spirit hat, diese Euphorie. Die Fans müssen wissen, das ist gerade Scooter. Diesen Charakter hat man natürlich alleine, wenn man H.P. hört, aber es braucht auch klanglich einen gewissen Old School-Charme. Aber das versuchen wir zu kombinieren mit heutigen Sounds wie Psytrance, Hardstyle und Trap.

Beat / Analysiert ihr bewusst angesagte Styles?

Michael / Höchstens im Clubbereich. Ich höre mir generell sehr viele elektronische Sachen an ...

Sebastian / Michael ist leidenschaftlicher Houser, aber er mag auch Hardstyle und vieles mehr. Ich dagegen höre sehr gerne Deutsch-Rap, auch wenn Micha das nicht wahrhaben möchte [lacht]. Aber das bringt auch wieder neue Impulse, denn ich finde es schon wichtig, am Zeitgeist zu bleiben, denn es bringt ja nichts, wenn man nur in der Vergangenheit lebt.

Michael / Das war ein Grund, weshalb Rick gegangen ist. Eine Frage, die wir oft von Fans gestellt bekommen. Er hat zu mir gesagt, er spüre diese Musik nicht mehr. Er ist aus diesem Club-Ding raus und will einfach etwas anderes machen. Er war noch einmal bei einem Trance-Festival in Holland, um noch mal den Spirit wie auf den Raves in den 90ern zu spüren, aber er hat es völlig verloren.

Sebastian / Jetzt ist er glücklich bei Leichtmatrose. Dort spielt er Bass und komponiert geile Rockstücke. Da geht sein Herz auf, was schön zu sehen ist.

Beat / Die Lyrics kommen komplett von H.P.?

Sebastian / Ja. Zumindest seine Lyrics schreibt er komplett, also seine Verse.

Michael / Er schnappt sehr viel auf. Ob Durchsagen am Flughafen oder dass der Manager von den Scorpions im Suff ständig „Bora! Bora! Bora!“ gebrüllt hat. Das fand er lustig und hat es zu einem Song verarbeitet.

Sebastian / Ich bin ja erst seit zweieinhalb Jahren dabei, aber als ich sah, wie er das macht, fand ich das schon sehr geil. Da nimmt er sein Handy raus und guckt, welche Phrasen er sich über die Monate notiert hat. Ich habe das bei „Rave Teacher“ gesehen, der ersten Single. Da gibt es die Zeile „Booth is the only way“. Wir waren in Australien und sind nach der Show noch in einen Club gegangen, um zu feiern. Da fragte unser Booker den Veranstalter, ob er einen separaten Bereich für uns hätte und der meinte „Yeah, of course! Booth is the only way!“ Das hat sich H.P. gemerkt und verwertet. Oder „Which Light Switch Is Which“ ... das kommt daher, dass H.P. in seinen frühen Jahren in England war. Dort ist er mit einem Kollegen auf eine Party gegangen und kam irgendwann spät nachts wieder in dessen Wohnung. Bei den alten englischen Häusern ist es so, dass alle Lichtschalter unten im Flur sind. Er suchte wohl sehr lange nach dem richtigen Lichtschalter. Am nächsten Morgen schrieb die Frau seines Kumpels einen Zettel auf dem stand, „please show H.P., which light switch is which“, da sie aufgewacht war, da das Licht ständig an und aus ging [lacht].

Michael / Oder „How Much Is The Fish?“. Das war ein Slogan von einer Punk-Band, die immer schrie „Does the fish have chips, how much is the fish?“. Das hat er aus dem Kontext gerissen und mittlerweile ist das ein Standardslogan, wenn wir irgendwo hinkommen.

Sebastian / Ja, Hammer! Er ist ja auch totaler KLF-Fan und findet auch dazu ständig Verbindungen. Das kann nur er. Ich frage ihn oft, wie er darauf kommt. Dann lacht er nur ...

Beat / Seid ihr optimistisch, dass eure für 2022 angekündigte Tour stattfinden kann?

Sebastian / Ja, es ist noch fast ein Jahr hin. Ich bin mal optimistisch gestimmt und sage, alles wird gut. Wir müssen dieses geile Album einfach zeigen. Es kribbelt uns extrem in den Fingern. Wir wollen dieses Album performen und es zusammen mit unseren Fans leben. Und ich sag jetzt schon, ich werde Stagediving machen und in die Menge springen – egal, wen ich treffe [lacht].

Michael / Sollte es wieder so sein wie zuvor, also ohne Absperrungen und solchen Kram, sag ich dir, explodiert das [lacht]!

scootertechno.com

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